Unvollkommenheit

Jesu Antwort auf die Unvollkommenheit des Menschen - 4. Sonntag im Jahreskreis


Ist Jesus ein Realist?

Sieht er die Dinge tatsächlich

so, wie sie sind, oder macht

er anderen und sich selbst

etwas vor?

Verdrängt er gar die

Realitäten dieser Welt

und des Menschen?

 

Von Blauäugigkeit ist

bei ihm keine Spur.

Ganz im Gegenteil.

Er sieht die Dinge,

wie sie sind. Und um diese

steht es nicht immer gut.

Er sieht die Menschen

und weiß, wie es ihnen

geht.

Die Bedürfnisse der anderen

sind ihm vertraut und bestens

bekannt.

 

Wie sonst könnte

er sich an die Menschen mit

den Worten wenden, wie

wir sie gerade noch gehört

haben?

 

Mit ihnen trifft der

den Nagel auf den Kopf;

spricht tief im Inneren

der Menschen ihre verborgene

Sehnsucht nach Freiheit

und Frieden, nach Heil

und Ganzsein an.

 

Jesus weiß, wie die Welt

ist. Er weiß wie das Leben

funktioniert und

dass es immer wieder

an seine Grenzen stößt und

Menschen an den

Widersprüchen und Gegensätzen

dieses Lebens entsetzlich

leiden können.

 

Arme und Trauernde,

Hungernde und Dürstende,

sind ihm nicht fremd.

Er sieht auf die,

die sich um Gerechtigkeit

und Frieden bemühen

und denen barmherzig

zu sein, am wichtigsten

ist.

 

Menschen, die um die

Wirklichkeiten dieser Welt wissen,

die an ihnen leiden und sich

trotz allem um eine bessere

Welt bemühen möchten,

sind die Zielgruppe der

Worte Jesu.

 

Ihnen macht er Mut.

Ihnen schenkt er Zuversicht.

Sie vergewissert er ihrer

Hoffnung und ihres Glaubens

auf etwas vollkommen

Neues und Anderes,

das bereits heute

wahr werden kann,

wo immer Menschen anfangen,

aufeinander zu achten

und füreinander dazu sein

und somit zu einem Beispiel

göttlicher Liebe werden.

 

Jesus weiß:

Die Welt ist, wie sie ist:

Unvollkommen.

Unzureichend.

Begrenzt.

Notdürftig.

Endlich.

Es gibt keine andere.

 

Darin macht er sich

und anderen nichts vor.

Schließlich bekommt

er sie selber immer wieder

in ihrer ganzen Härte

und Brutalität

zu spüren.

 

In allem, mit dem sich

der Mensch umgibt,

was er sich erwirbt

und aneignet, steckt

in der Tat zu wenig, um

wirklich dauerhaft

glücklich und zufrieden

sein zu können.

 

Es hat etwas

mit geistlicher Armut und

Demut zu tun, wenn Menschen

die Grenzen ihres Lebens

und dieser Welt beginnen

anzuerkennen und sich ihren

Durst und ihren Hunger

nach Unendlichkeit und

Bleibendem

von etwas stillen lassen

möchten, das außerhalb

ihrer eigenen Möglichkeiten

liegt und das Christen als Gott

bezeichnen und glauben.

 

Richard Rohr, Franziskaner

und Mystiker, sagt:

„In einer Welt, die nur

aus Unvollkommenheit

zu bestehen scheint, haben die

Demütigen und Ehrlichen einen

riesigen Vorsprung in spiritueller

Hinsicht und können Gott

immer in ihrem einfachen

Leben finden.

In einer Spiritualität der

Unvollkommenheit haben wir

eine universelle Basis für Gottes

Erlösung der Menschheit und

vielleicht auch eine klare Bezeichnung

für das, woraus uns Gott erlöst.“

 

Ein Lied, das wir hin und wieder

zum Kyrie singen bringt dieses

„Woraus“ ins Wort:

 

„Meine enge Grenzen,

meine kurze Sicht, bringe

ich vor dich. Wandle sie in Weite.

Herr, erbarme dich.

 

Meine ganze Ohnmacht,

was mich beugt und lähmt,

bringe ich vor dich. Wandle

sie in Stärke, Herr, erbarme

dich.

 

Mein verlorenes Zutraun,

meine Ängstlichkeit, bringe

ich vor dich. Wandle sie in Wärme,

Herr, erbarme dich.

 

Meine tiefe Sehnsucht

nach Geborgenheit bringe ich

vor dich. Wandle sie in Heimat,

Herr, erbarme dich.“

 

Wer, wenn nicht

jene, die dürsten nach

Gerechtigkeit und Frieden,

nach Heil und Ganzsein,

nach einem Leben in Fülle,

könnten diese Rufe um Erbarmen

besser verstehen?

 

Ihnen verheißt Jesus

den neuen Himmel

und die neue Erde.

Einen noch nie dagewesenen

und doch schon immer erahnten

Lohn im Himmelreich.

 

Einen Lohn, den Gott

schon jetzt begonnen hat

an alle „auszuzahlen“,

die an ihn glauben und sich

an seinen Verheißungen

festmachen möchten;

die sich von ihm angenommen

und geliebt wissen und

diese Liebe in ihrer Wertschätzung

und Annahme eines anderen Menschen

weitergeben und verschenken;

die sich von ihm tragen, halten

und führen lassen wollen und selber

Stütze und Halt für andere sind;

die sich in vielem von den Gesetzmäßigkeiten

dieser Welt zurückgezogen haben

und begonnen haben mit dem Herzen

zu schauen, zu verstehen

und zu handeln.

 

Denn auch das darf bei

allen Widersprüchen und

Gegensätzen, die diese

Welt kennt und an denen

Menschen immer wieder

zu leiden kommen, nicht

übergangen und in Frage

gestellt werden:

 

Jene zahllosen Momente

der Schönheit, des Glücks,

der Dankbarkeit und der

Zufriedenheit, des Friedens,

der Erfüllung, des Einsseins,

der Liebe und des Lebens.


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