Heilige Familie
„Ihr seid von Gott
von Gott geliebt.“
Hört sich gut an,
was die Lesung sagt.
Das muss man erst
einmal begreifen:
Dass ich geliebt bin.
Einfach so.
Einfach wegen nichts.
Ohne Wenn und Aber.
Trotz meiner Fehler
und Schwächen,
trotz meiner Unzulänglichkeiten
und Grenzen,
trotz meiner Lücken
und Mängel.
Geliebt,
von Gott höchstpersönlich.
Vielleicht auch gerade
wegen meiner Fehler
und Schwächen,
wegen meiner Unzulänglichkeiten
und Grenzen,
wegen meiner Lücken
und Mängel.
Weiß ich´s?
Wissen Sie´s?
Gott weiß es bestimmt.
Das reicht mir.
„Ihr seid von Gott
von Gott geliebt.“
Etliche können das nicht
glauben. Sie haben dabei
ihre Zweifel. Sie stellen
das grundsätzlich in
Frage.
In einem Gespräch
sagte mir eine Frau:
„Ich kann nicht daran
glauben, dass Gott mich
so liebt, wie ich bin.
Nein, das kann ich nicht.
Zeit meines Lebens
musste ich erfahren,
dass ich nicht in Ordnung
bin, dass ich nichts wert bin,
dass ich nicht den Ansprüchen
meiner Eltern genüge.
Ich glaube, dass diese
Erfahrungen auch
sehr wesentlich meine Beziehung
zu Gott geprägt hat.
Für mich ist Gott
ein Richtergott. Er macht
mir Angst. Ich erfahre ihn
bedrohlich. Seine Autorität
überwältigt mich. Er überwacht
mein Tun und Denken.
Wegen ihm kann ich nie
ganz loslassen und entspannt
sein, mich meines Lebens
freuen. Ich muss mir
seine Liebe geradezu
durch gute Leistungen
verdienen.“
Der Philologe und Soziologe
Tillmann Moser spricht
in diesem Zusammenhang
von einer Gottesvergiftung.
Bei einer Gottesvergiftung
hat das Gottesbild eines
Menschen eine zerstörende
Auswirkung auf dessen Psyche.
Es entspricht nicht der
Wahrheit Gottes.
Es ist schädlich.
Der Benediktinermönch,
Meinrad Duffner, spricht
vor dem Hintergrund
solcher einengenden und
belastenden Gottesbilder
auch von Gottestätern.
Das ist zu verstehen,
wenn wir davon ausgehen,
dass solche Gottesbilder
durch die Erfahrung eines
Kindes mit seinen ersten
Bezugspersonen, u.a.
den Eltern, entstehen.
Wer immer nur eingebläut
bekommen hat, dass er nichts
wert sei; dass er nicht vollkommen
sei; dass er nichts tauge; dass er
sich Zuneigung und Liebe erst
einmal zu verdienen hat,
der wird nur schwerlich
an eine Liebe glauben können,
die bedingungslos ist,
an eine Liebe, wie sie
Gott schenkt.
Gottes Liebe bleibt
immer geschenkt.
Sie macht sich niemals
an etwas fest.
Sie ist nicht von etwas
abhängig.
Sie ist unverdient.
Sie ist reine Gnade.
Sie ist einfach da.
Immer und überall.
„Ihr seid von Gott
geliebt!“
Das müssen
viele unter uns erst einmal
lernen anzunehmen.
Bis manche Gottesvergiftung
ausgestanden ist, braucht
es allerdings auch Zeit
und eben ganz gegenteilige
Erfahrungen, die einen
Menschen dazu bringen
können, wieder angstfrei
und entkrampft durchs
Leben zu gehen und
durch einen Glauben
gestärkt, der einem gütigen und
barmherzigen Gott Raum belässt.
Einem Gott, der sich erbarmt
und sich des Menschen
annimmt.
Solche Erfahrungen Gottes
ereignen sich in zwischenmenschlichen
Bereichen. Sie ergeben sich aus
der Begegnung zwischen Ich und Du,
zwischen Du und Ich.
Im Miteinander.
Deshalb wählt Gott auch
den Weg der Menschwerdung.
Wer Jesus erlebt,
erlebt Gott.
Wer Jesus sieht,
sieht Gott.
Erfahrungen Gottes
ereignen sich in zwischenmenschlichen
Bereichen. Das heißt, dass jeder
und jede von uns dazu beitragen
kann zu einer Erfahrung Gottes
für den anderen zu werden.
Paulus sagt wie:
„Bekleidet euch mit
aufrichtigem Erbarmen, mit
Güte, Demut, Milde,
Geduld! Ertragt euch
gegenseitig und vergebt einander,
wenn einer dem anderen etwas
vorzuwerfen hat, so vergebt
auch ihr. Vor allem liebt
einander, denn die Liebe
ist das Band, das alles
zusammenhält. In eurem
Herzen herrsche der Friede
Christi, dazu seid ihr berufen …
Seid dankbar.“
Das klingt wie eine
Checkliste für guten Umgang.
Mag sein. Doch es braucht
Orte, wo der Mensch
solche grundlegenden und
essentiellen Erfahrungen
machen darf, damit
er dem Leben,
damit er Gott zu trauen
lernt.
Dieser Sonntag richtet
unseren Blick auf die Familie.
Gibt es einen geeigneteren
Ort, um Erfahrungen mit
Gott zu machen?
Die Überschaubarkeit
einer Familie ist der Raum,
in dem all das zum Zuge
kommen kann:
Erbarmen,
Güte, Demut, Milde,
Geduld, Vergebung,
dass einer den anderen
in Liebe erträgt, und
sich jeder auf seine Weise
um Frieden bemüht.
Ist es übertrieben zu sagen,
dass die Familie einen heiligen
Raum darstellt, weil dort
Gott in Wahrheit zu
erfahren ist?
Höre ich Einwände?
Die gibt es natürlich.
Mehr als einem lieb ist.
Die Stichworte lauten:
Scheidung,
Wiederheirat,
Patchwork-Familien,
Gewalt in der Ehe.
Und dennoch.
In jeder Familie liegt die
Berufung, immer mehr das
zu werden, was sie sein
soll:
Ein Ort,
an dem die Liebe das Band
ist, das alles zusammenhält,
trotz der Krisen,
trotz der Spannungen,
trotz der Verletzungen,
trotz der vielen Missverständnisse,
trotz mancher Tränen, die aus
Verzweiflung geweint
werden.
Papst Franziskus
meint im Hinblick auf die
Familie, dass es sich
hierbei um die grundlegende
Zelle der Gesellschaft handle,
um den Ort, wo man lernt,
in der Verschiedenheit
zusammenzuleben und anderen
zu gehören.
„Ihr seid von Gott
geliebt.“
Diese Wahrheit erfahrbar
zu machen, ist nicht nur das
Privileg der Familie. Es ist
die Aufgabe eines jeden
Menschen, der mit
anderen Menschen
in Beziehung steht.
Es ist auch die
Aufgabe einer Gemeinde.
Es ist auch die Aufgabe
der Kirche.
An diesem Punkt
entscheidet sich
ihre Glaubwürdigkeit.
„Ihr seid von Gott
geliebt!“ Das steht.
Unverrückbar. Das kann
uns niemand nehmen.
Die Frage an uns
ist:
„Sag, hast du jemals
wirklich geliebt?“
Wenn es je so etwas
gegen sollte wie
ein „jüngstes Gericht“,
es wäre ja möglich,
dass dies die entscheidende,
einzige Frage ist,
die uns gestellt wird.
Die Frage nach
der Liebe.