Der Blick nach vorne

Der Blick nach vorne - Lk 9,51-62


Es gibt Worte Jesu,

bei denen ich mich

ernsthaft frage, ob

er tatsächlich meint,

was er sagt.


Sie sind so absolut.

Sie klingen so radikal.

Sie lassen für mich jeden

Blick auf die Gefühle eines

Menschen vermissen:


„Keiner, der die Hand an

den Pflug gelegt hat und

nochmals zurückblickt,

taugt für das Reich Gottes.“


Nun weiß ich aber auch,

dass es gerade die Absolutheit

ist, die Jesu Worte unterstreichen

wollen, sie herausstellen wollen,

sie als unbedingt notwendig

erscheinen lassen wollen.


Und das wiederum

versöhnt mich mit dem

Anspruch Jesu, den er

an mich stellt.


„Keiner, der die Hand an

den Pflug gelegt hat und

nochmals zurückblickt,

taugt für das Reich Gottes.“


Manchmal bleibt es nicht

aus, manchmal erscheint

es geradezu notwendig

zu sein, zurückzublicken.


Um besser verstehen

zu können, den Lauf der

Dinge, das Leben, die

Menschen, die Welt und

ihre Zusammenhänge.

Um aus dem Vergangenen

zu lernen und um künftig

die Fehler von gestern

zu vermeiden.

Um sich selbst besser

begreifen zu können.

Um Gewesenes

gut abschließen und

loslassen zu können.

Um beherzt und frei den

Weg fortsetzen zu können.

Um einen Neuanfang

zu schaffen.


Wir täten den Opfern

von Missbrauch und Gewalt

in unserer Kirche ein großes

Unrecht an, wenn wir das

Gewesene nicht aufarbeiten

würden.

Das, was war können,

wir nicht

ignorieren, indem

wir nur nach vorne

schauen.


Wir würden einer Erneuerung

unserer Kirche nicht gerecht

werden und möglichweise

sehr Entscheidendes außer

Acht lassen, wenn wir nicht

zu den Anfängen der Kirche

zurückblicken würden

und uns dabei fragen

würden, wie Jesus im

Ursprung seine Kirche

haben wollte.


Kein Mensch könnte

die Trauer in seinem

Leben verarbeiten, wenn

er nicht zurückblicken würde

auf die Zeit mit dem anderen

Menschen, mit dem er

sein Leben geteilt

hat. Wenn er nicht

davon erzählen dürfte,

was ihm der andere

gewesen ist und

immer noch

bedeutet.


Ich glaube jedoch,

dass es bei allem darauf

ankommt, wie wir den

Blick in die Vergangenheit

und in die Geschichte,

und auch in die

ganz eigene Biografie

und den Blick nach

vorne gewichten.


Es gibt Menschen, die

sind so sehr in ihrer

Vergangenheit gefangen

und mit ihr beschäftigt,

dass sie immer nur

auf einer Stelle stehen

bleiben und keinen

Schritt mehr nach

vorne tun.


Es gibt eine Reihe

von Christen, die sind

so sehr mit einer Vorstellung

von Kirche und Gemeinde

von früher beschäftigt,

dass sie verschlossen

bleiben gegenüber

jederart von

Erneuerung

in dieser

Kirche.


Wer die Vergangenheit

über Maßen gegenüber

den Herausforderungen

der Zukunft gewichtet,

der verschließt die

Augen vor dem

Leben, dem wirklichen,

dem schönen, dem spannenden,

dem abenteuerlichen Leben,

gegenüber einer zum Leben

einladenden

Zukunft.


Die Frage nach

der Zukunft richtet

unseren Blick nach vorne.

Es ist die Frage nach

unserer Vision von

Leben und Zusammenhalt

von Menschen in einer

Welt von morgen.

Es ist Frage nach

dem Umgang, dem verantwortlichen,

mit der Schöpfung und den uns

Menschen noch zur Verfügung

stehenden Ressourcen

dieser Erde.

Es ist die Frage nach

der ganz eigenen Lebensgestaltung,

vor den Erfahrungen bisherigen

persönlichen Lebens.

Es ist Frage nach

einer Kirche von morgen

und übermorgen, nach dem,

was wichtig ist, um Gottes

Reich immer mehr

unter uns Menschen

erstehen lassen

zu können.


Haben Sie persönlich

ihre eigene Vision von

Leben schon gefunden?

Wissen Sie wohin ihr

Leben hinzielen soll?

Wissen Sie, was Sie

wollen und was Sie

nicht mehr wollen?

Worauf legen Sie

in der vor Ihnen liegenden

Zeit wert?


Jesus richtet unseren

Blick auf diese Fragen aus.

Er sensibilisiert uns

für unsere Zukunft.


Wir können die Vergangenheit

nie gänzlich ausblenden.

Wir dürfen aber auch nicht

vergessen, dass wir zu etwas

Größerem geboren und

berufen sind. Dass wir

eine Zukunft haben.


Danach

gilt es Ausschau zu

halten. Danach gilt

es beherzt und mit

aller Kraft zu streben,

um eines besseren

Lebens wegen,

eines anderen

Miteinanders

von Menschen

in dieser Welt,

eines anderen Umgangs

mit all dem, was uns

diese Welt zum Leben

zur Verfügung stellt.


Es ist ein Bild von

Walter Habdank, das

mir in diesem Zusammenhang

in den Sinn kommt. Das Bild

trägt den Titel Erwartung.


Es zeigt Menschen

zusammengedrängt

auf einem hohen Baugerüst stehen,

das sich über die Hochhäuser

einer Stadt erhebt.

Alle schauen in eine

Richtung nach oben.

Eine Person hält

ein Fernglas vor

seinen Augen.

Sie hält Ausschau

und scheint von

dem, was sie sieht,

den anderen zu

erzählen.


Wir sollten einander

erzählen, wie wir uns

unsere Zukunft vorstellen,

die eigene, unsere gemeinsame,

die unserer Welt, die unserer

Kirche und Gemeinde.


Das ewige Herumgestochere

in dem, was war und niemals

wieder so sein wird, bringt

uns dabei nicht weiter und

nicht nach vorne.


Es lähmt.

Es bremst aus.

Es verhindert.

Es hält uns davon ab, in

die Gestalt von Leben

hineinzufinden, die

uns verheißen

ist.


So will ich Jesu

Worte verstehen als

eine Einladung zum

Leben, als eine Einladung

miteinander Zukunft

zu gestalten, als eine

Einladung, endlich

zu dem zu werden,

wozu wir berufen

sind.


Einen möglichen Einwand,

den man mir entgegenhalten

könnte, will ich nicht

unbeachtet lassen.


Es ist der Vorwurf,

dass der Mensch

entweder zu sehr

in seiner Vergangenheit

oder zu sehr in seiner

Zukunft lebt und

dass beides in sich

die Versuchung trägt,

die Gegenwart, das

heute, hier und jetzt

zu übersehen, das,

was gerade in diesem

Augenblick angesagt

ist.


Das ist natürlich richtig!

Deshalb ist es genauso

wichtig, sich die Fragen

zu stellen, die uns in

die Gegenwart führen.

Die uns dazu zwingen, uns

auf das Hier und Heute

zu konzentrieren.

Fragen wie:


Was möchte ich jetzt

in diesem Moment?

Was ist mir wichtig?

Was möchte ich ausprobieren?

Mit wem möchte ich zusammen sein?

Was macht mich glücklich?

Was kann ich in diesem Moment tun,

damit es mir gut geht?

 

Diese Fragen helfen mir,

meine Vergangenheit ein wenig

mehr hinter mir zu lassen.

Mich auf das zu

konzentrieren,

was jetzt gerade –

in diesem Moment –

wichtig ist und was

mir in Zukunft noch

wichtig werden soll.

 

Ulrich Schaffer sagt

einmal sehr einladend:

 

Es unser Glück,

dass die Zeit in jeder Sekunde,

in jeder Minute und in jeder

Stunde eine neue ist.

Sie wiederholt sich nicht,

nichts wiederholt sich.

Jeder Moment ist ein Neubeginn –

ein Augenblick der Entscheidung.

 

Es ist nicht zu spät,

aus Überzeugung zu leben,

nicht aus Routine.“

 


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