31. Sonntag

   31. Sonntag im Lesejahr B - Mk 12,28b-34



Sie können es nicht lassen.

Die Pharisäer.

Die Gesetzeslehrer.

Die Schriftgelehrten.

Weil sie ihn zu Fall bringen wollen,

unbedingt.

Weil sie ihn mundtot machen wollen,

koste es, was es wolle.

Weil er ihnen ein Dorn im Auge ist,

der schmerzt.

Dieser Mann aus Nazareth.

Jesus.

 

Dieses Mal stellt ihn

ein Schriftgelehrter auf die Probe.

Er stellt die Frage nach dem wichtigsten

Gebot im Gesetz.

Nach dem ersten von allen.

Die Antwort kennt jedes Kind.

Sollte es kennen.

Und auch Jesus

ist um die Antwort nicht verlegen:

 

„Höre, Israel, der Herr,

unser Gott, ist der einzige Herr.

Darum sollst du den Herrn,

deinen Gott lieben mit ganzem Herzen

und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken

und all deiner Kraft.

Als zweites kommt hinzu:

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Mk 12, 28b ff)

 

An diesen beiden Geboten

hinge das ganze Gesetz samt den Propheten,

heißt es an anderer Stelle (vgl. Mt 22,34-40)

Und woran hängt das Leben des Menschen?

 

Manchmal gewinnt man den Eindruck,

dass das Leben eines Menschen an einem 

ganz dünnen Faden hängt.

Zerreißt dieser Faden,

dann glaubt der Mensch

zu fallen. 

Ins Ausweglose.

Ins Bodenlose.

Er wird unsicher.

Er bekommt es mit der Angst zu tun.

 

Es gibt genügend Augenblicke und Momente, 

die einen Menschen tatsächlich glauben machen,

dass dem so ist:

 

Dass das Leben

an einem ganz dünnen Faden hängt.

Es von einem Moment zum anderen

nicht mehr sein kann, wenn nicht ganz verloren, 

so doch völlig durcheinander gebracht werden kann.

Eine schwere Krankheit,

kann einen Menschen

in eine solche Situation stellen.

Das Auseinanderbrechen einer Beziehung.

Der Verlust der Arbeitsstelle.

Seelisch belastende Momente,

die man nicht einfach so wegstecken kann.

Der Tod eines geliebten Menschen.

 

Das sind die Stunden

die einen Menschen oftmals

zum Nachdenken bewegen;

die ihn sich besinnen lassen auf das ihn Tragende

und darauf,

woran das Leben des Menschen

tatsächlich hängt.

 

Mitunter daran:

Dass wir miteinander sprechen

und nicht aneinander vorbei.

Dass wir uns aufeinander einlassen

und das Risiko nicht scheuen.

Dass wir einander zuhören

und nicht dabei auf die Uhr sehen.

Dass wir uns einander zuwenden

und nicht ungeduldig die Augen zumachen.

Dass wir einander mitnehmen

und nicht sitzen lassen.

Dass wir Hilfe annehmen

und nicht stolz ablehnen.

 

Kurz:

Dass wir uns in der Liebe bewähren.

Die entscheidende Frage im Angesicht des Todes

wird nicht sein, was der Mensch in seinem Leben an

materiellem Erfolg ausmachen kann,

welche Verdienste er verzeichnen kann.

Die Frage, vor der er zu stehen kommen wird,

wird die Frage nach der Liebe sein.

 

Wenn jemand verzweifelt ist,

fragt er sich,

warum er überhaupt lebt;

wenn jemand gelangweilt ist,

fragt er sich,

was für einen Sinn sein Leben haben soll. …

Es gibt diese Augenblicke,

in denen wir uns vergewissern müssen,

was es bedeutet, die paar Jahrzehnte unserer Existenz

auf dieser Erde zu verbringen,

und dann müssen wir wissen,

wie wir unser Leben angehen sollen,

welche Maßstäbe es gibt,

welche Inhalte

und welche Ziele am meisten

zu beachten sind.

 

Die Frage, vor der er zu stehen kommen wird,

wird die Frage nach der Liebe sein.

 

Hast du jemals wirklich

und tatsächlich geliebt?

Nicht nur dich selbst, 

sondern auch den anderen Menschen neben dir

und im anderen Gott?

 

Glücklich ist am Ende wirklich nur der Mensch,

der von sich sagen kann: Ja, ich habe wirklich geliebt.

Alles andere ist und bleibt auch in den Augen Gottes

nebensächlich.

 

„Ja! Ich will mich für etwas begeistern!

Ich setze auf die Liebe“, schreibt Hans Dieter Hüsch.

„Das ist das Thema

Den Hass aus der Welt zu entfernen

Bis wir bereit sind zu lernen

Dass Macht Gewalt Rache und Sieg

Nichts anderes bedeuten als ewiger Krieg

Auf Erden und dann auf den Sternen

 

Ich setze auf die Liebe

Wenn Sturm mich in die Knie zwingt

Und Angst in meinen Schläfen buchstabiert

Ein dunkler Abend mir die Sinne trübt

Ein Freund im anderen Lager singt

Ein junger Mensch den Kopf verliert

Ein alter Mensch den Abschied übt

 

Ich setze auf die Liebe

Das ist das Thema

Den Hass aus der Welt zu vertreiben

Ihn immer neu zu beschreiben

Die einen sagen es läge am Geld

Die andern sagen es wäre die Welt

Sie läg in falschen Händen

 

Jeder weiß besser woran es liegt

Doch es hat noch niemand den Hass besiegt

Ohne ihn selbst zu beenden

Er kann mir sagen was er will

Er kann mir singen wie er’s meint

Und mir erklären was er muss

Und mir begründen wie er’s braucht

Ich setze auf die Liebe! Schluss!“

 

Bei der Suche nach Erlösung

wird am Ende die Frage nach der Liebe gestellt.

Wenn es nur so einfach wäre mit der Liebe.

Ist es aber nicht.

Und obwohl jeder auf sie angewiesen ist,

enthalten sich so viele Menschen

einander Wohlwollen und Achtung,

Annahme und Bestätigung und Vergebung vor.

Sie lieben einander nicht wirklich.

Stattdessen trennt sie voneinander

Neid und Eifersucht,

Angst und Missgunst,

Misstrauen und Vorbehalt und Schuld.

 

Woran hängt das Leben eines Menschen?

Der Theologe Peter Dykhoff sagte einmal:

„Der Hunger der Seele wird nicht gestillt

durch viele Worte. Letztlich werden wir nicht gefragt,

was und wie viel wir gelesen haben,

sondern wie wir gelebt haben

und was wir getan haben.

Wir werden nicht danach gefragt,

wie schön wir geredet haben,

sondern danach, ob durch uns

mehr Liebe in die Welt gekommen ist.“

 

„Nur die Liebe schuldet ihr einander immer!“

sagt der Apostel Paulus.

Und: „Wer den anderen liebt,

hat das Gesetz erfüllt!“

Ja. Es stimmt:

„Erst wenn einer Liebe schenkt

nicht mit Worten, in der Tat, wenn er fragt: 

Was fehlt dem anderen bloß? 

Wenn er fragt: Was kann ich für dich tun? 

Wenn er ungefragt das tut, was er tun kann,

ja erst dann beginnt das Lied der Liebe.“

 

Unvorstellbar,

dass die ganze Welt Gottes Melodie

in sich aufnehmen und anfangen würde zu singen,

unablässig, wie aus einem Mund,

das Lied der Liebe.

Unvorstellbar. Wirklich?

 

Gott gibt die Hoffnung nicht auf,

dass wir der Liebe fähig werden,

immer mehr,

und endlich anfangen,

ihn zu lieben und unseren Nächsten,

denn er ist wie wir.


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