5. Sonntag nach Ostern

5. Sonntag nach Ostern - Joh 13, 31-33a.34-35





Da gibt es einen Satz

der Theologin Dorothee

Sölle, der mich, seit dem

ich ihn gelesen habe,

einfach nicht mehr loslässt

und der lautet:

 

Die größte Gefahr, die ich

unter uns wachsen sehe,

ist eine spirituelle Sache:

dass wir uns selber

für handlungsunfähig

erklären und in dem Gefühl

der eigenen Ohnmacht bleiben.

Vielleicht trennt uns nichts

so sehr von der Liebe als der

anthropologische Pessimismus,

der der Liebe nichts zutraut,

weil er nicht weiß, dass sie

„das von Gott in uns“

artikuliert.

 

Dieser Gedanke muss

ein wenig nur entschlüsselt

werden.

 

Es heißt da,

dass sich der Mensch

in einer spirituellen Krise

befindet.

In einer spirituellen Krise

zu sein bedeutet, keinen Sinn

mehr für sich ausmachen zu

können; die Orientierung,

die Richtung, den Fixpunkt,

auf den das Leben zusteuert,

aus dem Auge zu verlieren.

 

Gemeint ist das, was uns hält

und trägt, was uns bestehen

lässt und Grund unserer

Existenz darstellt. Das,

was das Miteinander

von Menschen schön und

angenehm macht.

Das, was schlussendlich

uns Menschen glücklich und froh

sein lässt und zufrieden.

 

Dem entgegen steht sehr oft

ein ungeheuerlicher Pessimismus

des Menschen. Man könnte

auch sagen die Angst des

Menschen vor der Zukunft,

die Angst davor, zu versagen,

nicht zu genügen. Sein Leben

auf Grund zu setzen,

zu scheitern.

 

Dieser Pessimismus

schlägt sehr oft um in

Resignation, in Aussichtlosigkeit

und Depression. Neusten

Untersuchungen sind derzeit

ca. 5% der Bevölkerung

im Alter von 18-65 Jahren

in Deutschland an einer

behandlungsbedürftigen

Depression erkrankt.

Dass sind ca. 3,1 Millionen

Menschen.

 

Vielleicht trennt uns nichts

so sehr von der Liebe als der

anthropologische Pessimismus,

der der Liebe nichts zutraut,

weil er nicht weiß, dass sie

„das von Gott in uns“

artikuliert.

 

Nichts ist so gottlos

wie der Satz: „Daran kann man

nichts machen, so ist es eben.“

In dieser Feststellung wird

die Verbundenheit mit Gott

geleugnet, die sich durchhaltende

Kraft, die immer wieder neu

aufsteht und das Leben

für alle einklagt.

 

Dorothee Sölle meint,

dass es die Liebe sei, die uns

der Gegenwart Gottes in unserem

Leben zu vergewissern vermag,

die uns die Kraft zu geben vermag,

uns immer wieder zu erheben

und das Leben zu wollen,

so wie es Gott für uns

auch will, aus Liebe.

 

In einem späteren Gedanken

formuliert sie:

 

Es ist zu kalt auf der Welt,

als dass wir meinen

könnten, es ließe sich ohne diesen

Mantel (der Liebe) leben.

Die Liebe Gottes, seine Gnade,

wärmt uns und sie lässt uns

zugleich am Mantel Gottes

mitstricken.

 

Dieses Wort führt mich

direkt zum Evangelium hin.

Jesus versichert.

„Ich liebe Euch!

Das, wonach ihr tief in

Eurer Seele hungert,

das vermag ich zu

stillen, durch meine

Liebe zu Euch!“

 

Nichts ist so fundamental

für das Leben eines Menschen

wie die Liebe.

Die Liebe gibt sich nicht

dem Pessimismus und

der Resignation hin.

Sie zeichnet sich aus

durch höchst aktive Haltungen.

Jene, wie sie Paulus in seinem

Brief an die Korinther z.B.

beschreibt:

 

„Die Liebe ist langmütig

und gütig. Sie ereifert sich nicht.

Sie prahlt und bläht sich nicht

auf.

Sie handelt nicht ungehörig, sucht

nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht

zum Zorn reizen und trägt

das Böse nicht nach.

Sie freut sich an der Wahrheit.

Sie erträgt alles, hofft alles,

hält allem stand.“ (vgl. 1 Kor 13 ff)

 

In der Tat, wer die Kraft

zur Liebe besitzt, den kann

so schnell nichts aus der

Bahn werfen, weil er Gott

an seiner Seite wissen

darf und dass er vor allem

und zuerst von ihm geliebt,

gewollt, gehalten ist.

 

Ein Weg aus der spirituellen

Krise heraus ist, dass der Mensch

dieses Bewusstsein neu in sich

wachruft: Ich bin von Gott

geliebt. Und nichts kann

mich scheiden von

dieser Liebe, von Gott.

 

Dorothee Sölle meint:

Diese tiefste Gewissheit

erfahren wir nicht, wenn wir

uns wie Kinder in den Mantel

Gottes wickeln wollen und dann

beim Erwachsenwerden

glauben, ihn nicht mehr

zu benötigen.

 

Der Mensch kann im Letzten nur

aus der Liebe Gottes bestehen.

Und diese hat ihren Ort,

mitten in dieser Welt,

mitten unter Menschen,

sollte ihn zumindest haben.

Das bedeutet, um im Bild

zu bleiben, dass jeder

von uns an diesem Mantel

der Liebe Gottes durch sein

Tun, durch sein Leben,

mitstrickt. Mitstricken

sollte.

 

Das Evangelium leitet

daraus die Einladung ab:

„Auch ihr sollt

einander lieben!“

 

Das ist gewiss

eine Herausforderung

für viele in einer Welt

und Gesellschaft, in der

der Egozentrismus so

sehr unterstützt und zu

zelebriert, zur Schau gestellt

zu werden scheint und

das ganz eigene

Wohl sehr oft an höchster

Stelle zu stehen kommt.

 

Der Sinn des Menschseins

besteht darin zu lieben:

Gott, den Nächsten,

wie sich selbst.

 

Ja, die Liebe macht

verwundbar und verletzbar.

Sie geht immer das Risiko

ein, enttäuscht zu werden.

Das hat die Liebe so an

sich.

 

Gott weiß darum.

Er hat es selbst erlebt.

Die Liebe zum Menschen,

seine Offenheit

dem Menschen gegenüber,

hat ihn ans Kreuz gebracht.

Liebe ohne Leiden,

das gibt es nicht.

Jesus hat es am

eigen Leib zu spüren

bekommen.

 

Und dennoch:

Wir kommen nicht aus

ohne sie, denn in ihr

leben wir, in ihr bewegen

wir uns, durch sie sind wir

erst das, was wir vor

Gott sein sollen:

Menschen mit Herz,

der Hingabe,

der Selbstaufgabe,

der Zuneigung,

der Zärtlichkeit,

der Liebe fähig.

 

Dabei ist die Liebe

nicht nur etwas Geistiges.

Sie umfasst den ganzen

Menschen. Seinen Körper,

seine Sinne, seine Gefühle,

jede Pore seines Leibes.

Liebe und Erotik gehören

zusammen und auch die Freude

daran, diese Liebe zu leben,

sie zu kosten, sie zu feiern

und zu zelebrieren.

Wir müssen die Kultur

der Liebe neu einüben

lernen.

 

Die Kirche hat in

der Vergangenheit viel

zu wenig Rücksicht darauf

genommen und die Kostbarkeit

der Liebe, ihre Schönheit

und Anmut durch Regeln

und Vorschriften geradezu

unterbunden. Sie hat

die Liebe gestört.

Umso klarer und entschiedener

formuliert Papst Franziskus in

seinem Lehrschreiben über

die Liebe in der Familie,

„Amoris Laetitia“,

dieses Defizit und lädt dazu

ein, die Liebe wieder zu entdecken

in all ihrer Schönheit und

der Kraft zur Verzauberung

des Menschen.

 

Guido Groß schreibt

in einem seiner Gedichte:

 

In höchsten Gefühlen

will ich dich lieben

betend und singend

in deiner Liebe sein

 

Doch du antwortest

Ihr bleibt in meiner Liebe,

wenn ihr liebt

wie ich euch geliebt

 

Der Mitmensch also

genau ist das Problem

Aber weil du es gesagt

hast will ich es versuchen.

 

Wir werden

immer wieder tausend

Ausflüchte und Ausreden

haben, um die Liebe

zu unterlassen.

Das stärkste Gegenargument

zur Liebe scheint der Mitmensch

selber zu sein. Der Andere, der neben

mir. Auch hier scheint mir

das Wort von Dorothee

Sölle gut zu passen:

 

Die größte Gefahr, die ich

unter uns wachsen sehe,

ist eine spirituelle Sache:

dass wir uns selber

für handlungsunfähig

erklären und in dem Gefühl

der eigenen Ohnmacht bleiben.

Vielleicht trennt uns nichts

so sehr von der Liebe als der

anthropologische Pessimismus,

der der Liebe nichts zutraut …

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