Eine alte Legende berichtet
davon, wie die Sorge am Ufer
eines Flusses saß und aus Lehm
ein kunstvolles Gebilde formte.
Es gelang ihr und sie hatte
ihre Freude daran.
So bat sie Gott, es lebendig
zu machen. Gott tat es, und
das Wesen wurde lebendig.
Nun aber wurde die
Sorge mit der Erde uneins,
wem es gehören solle.
„Es ist von mir genommen
und aus Erde gemacht“,
sagt die Erde.
„Ich aber habe ihm
seine Gestalt gegeben“,
antwortete die Sorge.
Daraufhin entschied Gott
den Streit.
„Das neue Geschöpf soll
Mensch heißen. Im Leben
gehöre es der Sorge, sein
Leib gehöre im Tod der Erde,
seine Seele sein mein in
Ewigkeit.“
Die Wahrheit dieser –
im übrigen nichtchristlichen –
Legende ist die:
Es ist tatsächlich die Sorge,
die vielen unter uns und ihrem
Leben die Gestalt gibt.
Dass wir Dinge kaufen,
sammeln und pflegen,
entspringt der Sorge um den
heutigen und morgigen Tag.
Manche unter uns begleitet
die Sorge, Fehler zu machen.
etwas zu versäumen oder
zu vergessen, nicht fertig zu
werden und insgesamt
die Sorge, wie sie durch
das Leben kommen
werden.
Die zurückliegenden
Monate und Wochen
waren durch ganz eigene,
durch die Pandemie
hervorgerufene
Sorgen bestimmt.
Sorgen, die auch jetzt
noch anhalten und
manchem unter uns
immer noch keine Ruhe
lassen.
Was sind Ihre ganz
persönlichen Sorgen zur
Zeit? Was betrifft Sie?
Was lässt Sie nicht
zur Ruhe finden?
Was quält sie so sehr,
das Sie auch im
Schlaf nicht loslassen
können? Sie vielmehr
hin und her wenden
lässt, von einer Seite
auf die andere?
Es ist tatsächlich die Sorge,
die vielen unter uns und ihrem
Leben die Gestalt gibt.
Die Sorge sagt:
Du musst dein Leben in
die Hand nehmen.
Wenn du es nicht in der
Hand hast, hat es niemand
in der Hand.
Unsere Sorge und
unser Glauben bewohnen
denselben Raum.
Wo die Sorge wächst,
verliert der Glaube an Raum.
Wo der Glaube erlahmt,
dehnt sich die Sorge aus.
Wo dagegen der Glaube
Raum greift, schwindet die
Sorge. Die Sorge ist
darum so groß,
weil der Glaube
klein ist.
Was meinen Sie -
ob Gott auch die Sorge
kennt? Ob auch ihn die
Sorge quält? Sie ihn belastet
und nicht zur Ruhe kommen
lässt? Die Sorge um Dich
und mich, um unser Leben
und dass es uns gelingen
möge?
Das Buch der Weisheit
sagt: „Es gibt keinen Gott,
Herr, außer dir, der für alles
Sorge trägt.“ (Weish 12,13)
Ein wunderbares Wort,
wie ich meine. Ein ermutigendes
Wort zugleich. Es sagt nichts
anderes als dies:
Gott sorgt sich um Dich.
Gott sorgt sich um mich.
Gott sorgt sich um das Leben.
Die Psalmen geben auf
ihre Weise dieser Sorge
Gottes Ausdruck:
„Herr, du hast mich
erforscht und kennst mich.
Ob ich sitze oder stehe, du
kennst es. Du durchschaust
meine Gedanken von fern.
Ob ich gehe oder ruhe,
du hast es gemessen.
Du bist vertraut mit
all meinen Wegen.“ (Ps 139)
Was Psalm 139 ins Wort
bringt, fasst der Psalm 23
in einem einprägsamen
Bild zusammen:
„Der Herr ist mein Hirte,
nichts wird mir fehlen.
Er lässt mich lagern auf
grünen Auen und führt
mich zum Ruheplatz am
Wasser. Meine Lebenskraft
bringt er zurück. Er führt
mich auf Pfaden der
Gerechtigkeit, treu
seinem Namen.
Auch wenn ich gehe
im finsteren Tal,
ich fürchte kein Unheil,
denn du bist bei mir.“ (Ps 23)
Gott sorgt sich
um uns Menschen.
Gott sorgt sich um
unser Leben.
Dabei könnte er auch
ganz anders. Die Macht
dazu hätte er durchaus.
Die Macht zu zerstören, zu vernichten,
auszulöschen und zu töten.
Doch dies widerspräche
gänzlich seinem Wesen.
Dass Gott sich um uns
Menschen sorgt, entspricht
vielmehr seiner Liebe zu
uns. Weil Gott uns liebt,
sorgt er sich um uns.
Es ist eine Sorge, die
keine Grenzen kennt
und niemanden
ausschließt.
Jesus stellt uns dieses
Wesen Gottes vor.
„Sorgt euch nicht!
Seht die Vögel des Himmels
an! Sie säen nicht. Sie ernten
nicht. Sie sammeln keine
Vorräte in Scheunen.
Euer Vater im Himmel
ernährt sie. Seid ihr
nicht kostbarer als sie?“
Spätestens an diesem
Punkt komme ich jedoch
ins Stolpern und frage
kritisch nach:
Sind Vögel nicht pausenlos
auf der Suche nach Futter?
Stehen sie nicht ständig in
Auseinandersetzung mit
störenden Artgenossen?
Ist das Fliegen nicht
anstrengend?
Sind sie nicht am Brüten
und auf der Suche nach
Nahrung für ihre Brut?
Geht das, was Jesus
da sagt, nicht an der
Wirklichkeit vorbei?
Jesus meint nicht,
dass der Glaube eine
Sache für Blumenkinder sei.
Er meint mit seinen Vergleichen
vielmehr, dass der Mensch
in Gefahr sei, in seiner Angst
und Sorge zu erstarren und
dabei sein Leben zu verfehlen.
Wer ganz von der Sorge
eingenommen wird, sagt etwa
dies:
„Die Welt ist voller Gefahren.
Sie ist voller Feinde. Glaube keinem.
Jeder lügt. Jeder bedroht dich.
Rechne immer mit dem Schlimmsten.
Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.
Geh kein Experiment ein.
Halte dich an das Gesicherte.
Sorge für dein Überleben.“
Wer auf dem Weg zum Leben
ist, sagt es etwa so:
„Die Zukunft ist ganz und
gar offen. Es kann noch viel
geschehen, das ich noch nicht
kenne, auch viel Rettendes,
Helfendes. Ich bin also gespannt,
was morgen sein wird.
Ich baue keine
Mauer um mich herum,
sondern lebe wie auf
einem offenen Feld, wo
der Wind aus allen Richtungen
zu mir kommt. Ich erwarte
trotz aller Gefahren, dass
etwas geschehen kann,
das mir neu ist und die
Lage ändert.
Wir haben die Möglichkeit
zwischen diesen beiden Wegen:
Uns durch die Sorge das
Leben nehmen zu lassen.
Oder durch den Glauben
an und das Vertrauen
in das Leben, Freiheit
und Weite zu gewinnen.
„Wer sein Leben sichern
will“, sagt Jesus, „der wird
es verlieren.“ – Man kann
das Leben nicht zementieren.
Man kann seine Freiheit
nicht wie Tiefkühlkost
konservieren. Man kann
nur wagen, ein freier
Mensch zu sein.
Dazu sind wir
von Gott berufen!
Nun wissen wir aber
auch, dass Gott in seine
Schöpfung sehr viel Dunkelheit
hineingeschaffen hat.
In das Gewebe dieser Welt
sind viel Tod und Leid
und Schmerz
hineinverwoben.
Das Evangelium greift
dabei auf das Bild vom
Unkraut zurück.
Niemand von uns fällt
aus dieser Wirklichkeit
heraus, mit seiner Sorge
oder ohne sie. Alles, was
lebt, ist hineingewoben
in das alles umfassende
und sehr ernste Spiel
der Schöpfung.
Im Leben
eines jeden von uns regiert
ein Gesetz, über das er
keine Macht hat.
Darin steckt etwas
sehr Schmerzhaftes, wenn
das große Spiel der Schöpfung
erhaben über uns Menschen
hinweggeht. Wohin dann
mit unserer Sorge?
Ich habe den Eindruck,
dass Gott uns die Sorge
um das Leben nicht abnimmt.
Vielmehr teilt er sie mit
uns und geht mit uns
durch all die Widerfahrnisse
unseres Lebens hindurch.
Zudem nimmt er uns
nicht ab, worum wir uns
selbst sorgen können
in Bezug auf das eigene Leben,
in Bezug auf das Miteinander
von Menschen, in Bezug
auf die Schöpfung.
Der Prophet sagt:
„Wenn du durchs Wasser
schreitest, bin ich bei dir,
wenn durch Ströme, dann reißen
sie dich nicht fort. Wenn du durchs
Feuer gehst, wirst du nicht
versenkt, keine Flamme wird
dich verbrennen. Denn ich,
der Herr, bin dein Gott.
Ich, der Heilige Israels, bin
dein Retter. Weil du in
meinen Augen teuer
und wertvoll bist
und weil ich dich
liebe.“ (Jes 43)
All dem entnehme
ich, dass Gott uns in unserer
Sorge nicht allein lässt;
dass er uns hilft, das dunkle
Paket an Sorgen zu tragen.
„Man solle seine Sorgen
auf den Herrn werfen“,
sagt der erste Petrusbrief.
Martin Luther sagt dazu:
„Wer dieses Werfen nicht
lernt, der muss ein verworfener
Mensch bleiben, ein zerworfener,
ein unterworfener, ausgeworfener,
abgeworfener, umgeworfener
Mensch.“ Also einer, mit dem
geworfen wird, ein Spielball.
Dieses Werfen, das Luther meint,
setzte den Versuch, und sei
er noch so ängstlich, zu dem
Vertrauen voraus, dass Gott
selbst dem Menschen dabei
helfen wird. Sonst ist das
Paket zu schwer für seine
Hände.
Ohne die Spur eines
Vertrauens wirft man
die Sorge nicht aus dem
Bannkreis seines Lebens
hinaus.
Gott segne Sie mit
grenzenlosen Vertrauen
in seine Macht, das Sie alle
Sorge um das Leben überwinden
lässt. Er segne Sie mit dem
Mut, sich dem Leben zu
stellen und lebendig zu
bleiben, befreit von
umklammernder Sorge.
Er lasse Sie offen bleiben
für die Wunder eines
jeden Tages.