Über die Hintergründe
lässt uns die heutige Lesung
nicht im Unklaren.
Gott selbst bezieht sich
zunächst auf die Gefangenschaft
seines Volkes im Land Ägypten.
Die Erfahrungen, die Israel
in damaliger Zeit gemacht
hatte, werden bis heute
dem jüdischen Volk
in Erinnerung gerufen.
Israel ist gefangenen
in einem Land, das nicht
sein Heimatland ist.
Dort wird es zunehmend
geknechtet und ausgebeutet.
Als Sklaven fristen die
Israeliten ihr Dasein.
Gott sieht die Not seines
Volkes. Er beauftragt
Mose, sein Volk in die
Freiheit zu führen,
heraus aus Ägypten,
dem Land der
Gefangenschaft.
Der Auszug gelingt.
Israel gelangt durch das
rote Meer. Die Ägypter werden
Opfer der Wellen und gehen
verloren.
Jetzt befindet Israel
in der Wüste, auf
dem Weg in das verheißene,
das gelobte Land.
Mose bekommt den
Auftrag, sein Volk an seine
Rettung zu erinnern.
An den Bund, den Gott
mit seinem Volk geschlossen
hat. An seine Erwählung,
Gottes eigenes Volk
zu sein. Zeugen eines
Gottes zu sein, der zu seinem
Wort steht und seinem
Volk treu bleibt.
Ägypten hat in den Herzen
des israelischen Volkes
seine Spuren hinterlassen.
Ägypten kann
für vieles stehen,
was Menschen heute
vom Leben abhält,
sie knechtet und knebelt,
gefangennimmt und unfrei
macht.
Was ist Ihr ganz
persönliches Ägypten?
Wo fühlen Sie sich
vom Leben wie abgeschnitten,
oder gefangengehalten?
Was knechtet Sie, knebelt
Sie? Macht Sie unfrei?
Drückt sie nieder?
Viele machen an der
augenblicklichen Situation,
in der sie sich mit vielen
anderen Menschen befinden,
ihr ganz persönliches
Ägypten fest.
Sie fühlen sich der
Normalität ihres Alltags
beraubt, trotz zunehmender
Lockerungen der Auflagen.
Trotz Freiheit, dennoch
unfrei; Eingeengt in ihren
Möglichkeiten.
Hinzu kommen für
viele Unsicherheit und
Angst, die Ungewissheit
vor dem, was noch
kommen wird. Die Sorge
um das eigene Leben
und das anderen auch.
Doch nicht nur die
augenblickliche Krise,
lässt viele möglicherweise
an ein ganz eigenes
Ägypten denken.
Viele Anlässe und Gründe
kann es geben, die es zuvor
auch schon gegeben hat,
und die Menschen in ähnlicher
Weise des Lebens berauben,
gefangenhalten,
niederdrücken,
belasten und nach
Befreiung rufen lassen.
Einsamkeit.
Krankheit.
Schuld und
Versagen.
Überhöhte Ansprüche an das
eigene Leben und das
der anderen auch.
Unruhe,
Streit und Auseinandersetzung.
Die Frage nach dem
Sinn des eigenen Lebens
überhaupt.
Depressionen.
Erfolglosigkeit und
Enttäuschungen.
Kriege.
Existenzängste.
Armut.
Fremdheit.
Und, und, und …
Was ist Ihr ganz
persönliches Ägypten?
Wo fühlen Sie sich
vom Leben wie abgeschnitten,
oder gefangengehalten?
Was knechtet Sie, knebelt
Sie? Macht Sie unfrei?
Drückt sie nieder?
Gott ruft Mose und
seinem Volk ins Gedächtnis,
dass er sich in ägyptischer
Zeit an die Seite seines
Volkes gestellt hat;
dass er es nicht im
Stich gelassen;
sich seiner erbarmt
hat und es auf weiten
Schwingen, Adlersflügeln
gleich, getragen und gerettet
hat. Heraus aus dem
Land der Sklaverei.
Habe ich bereits die Rettung
aus meinem ganz eigenen
Ägypten erfahren?
Wie sah diese Rettung aus?
Habe ich sie mit
Gott in Verbindung bringen
können?
Was hat Gott zur Rettung
an mir getan?
Wie verändert dies
mein Verhältnis
zu Gott, zum Leben,
zum Mitmenschen?
Was bedeutet sie
für meinen persönlichen
Glauben? Wie beeinflusst
die Erfahrung von Rettung
mein Vertrauen in Gott?
Und das zeichnet das Volk
Israel aus: Der Bund,
den Gott mit ihm
geschlossen hat und
es für Gott einmalig
sein lässt, einzig
unter allen anderen
Nationen und Völkern.
In dieser Rettung
steckt zugleich ein Auftrag.
Die Lesung spricht davon,
dass Israel Gott als ein
Königreich von Priestern
und als ein heiliges Volk
gehören soll.
Vorbild,
Beispiel,
Zeuge soll Israel
sein für Gottes unermessliche
Güte, dazu gesendet,
von seinem reichen Erbarmen
und seiner Treue zu
allen Menschen
zu sprechen.
Von Sendung spricht
auch das heutige Evangelium
und dass die Ernte groß sei,
es viele Menschen seien,
die darauf angewiesen
blieben, aus ihrem ganz
eigenen Ägypten
befreit zu werden.
Jesus setzt
zunächst die Sendung
seines Volkes Israel fort,
sendet dann
die benannten Jünger,
und schließlich Kirche
und Gemeinde heute dazu aus,
Gottes Reich zu verkünden,
Notleidenden nahe zu sein.
Einfach zu geben, was sie
selbst empfangen haben:
Liebe,
Zuneigung,
Erbarmen,
Güte,
Hilfe,
Vergebung,
Freude,
Zuversicht,
Hoffnung
in einem gehäuften Maß.
Das Zweite Vatikanische
Konzil spricht in diesem
Zusammenhang vom Priestertum
aller Gläubigen, dem allgemeinen
Priestertum, und hebt die
Bedeutung, die Wichtigkeit
eines jeden Getauften
hervor.
Wir alle sind und
bleiben von Jesus berufen
und gesendet zugleich.
Wie sich diese Sendung
ausdrücken kann,
darauf verweist
der folgende Gedanke:
Ihr seid gesendet,
um Menschen zu finden.
Fragt, wer sie sind
und was in ihnen lebt.
Fragt, was sie denken
und worunter sie leiden.
Fragt und liebt sie.
Seid nahe jedem,
der euch braucht.
Ihr seid gesendet,
um Gott im Menschen zu finden.
Habt keine Vorbehalte,
hegt keine Vorurteile.
Begründet Vertrauen und
Sicherheit, weil Gott uns
nahe ist.
Macht die Menschen
mit Gott vertraut.
Euer Leben sei
ein offenes Buch Gottes,
in dem alle lesen
können, wie Er zu
uns ist.
Es heißt, auch
in innerkirchlichen
und hoch offiziellen
Kreisen unserer
Kirche, dass sie sich
in den vergangenen
Wochen durch große
Zurückhaltung, Profillosigkeit
und Schweigsamkeit
ausgezeichnet
hätte.
Viele fragen ganz
konkret nach,
was Kirche bislang zur Krise
anderes beizutragen
gehabt hätte, als andere
Institutionen, Politiker
und Wissenschaftler.
Möglicherweise dient
die augenblickliche Krise
unserer Kirche dazu,
neu über ihre Sendung
und ihren Auftrag
in heutiger Zeit
nachzudenken.
Was natürlich nicht
ausschließt, dass wir uns selbst
wieder mehr unserer eigenen
Sendung als Christen in
dieser Welt und für die
Menschen bewusst
werden.
Beides wäre wichtig.
Beides wäre wünschenswert.
Gott segne Sie hierzu und lasse
Sie Ihre ganz eigene Sendung
zum Wohl der Menschen in
dieser Welt erkennen.
Er befreie sie aus Ihrem
persönlichen Ägypten
und mache Sie so zu einem
Zeugen für sein unwiderrufliche
Treue zu allen Menschen.
________________________________________
Diese Ansprache ist auch auf YouTube zu sehen. Bitte geben Sie folgende Erkennung ein:
Thomas Diener, Pfarrer