Wonach hungern Menschen,
wenn es um die Kirche geht?
Was erwarten sie von ihrer
Kirche?
Brot, gewiss keine Steine,
die schwer im Magen
liegen und nicht zu
verdauen sind.
Zugeben, es gibt viele,
die erwarten schon lange
nichts mehr von der Kirche.
Sie haben ihre Erwartungen
aufgegeben und schon
lange begraben. Sie haben
einfach genug und wenden
sich enttäuscht, verletzt,
entsetzt, kopfschüttelnd
und abwinkend vom
System Kirche ab.
Doch da gibt es immer noch
die anderen, die da sind, die
durchhalten.
Viele aus Gewohnheit
und Bequemlichkeit, andere,
weil sie spüren,
dass es gerade
jetzt darauf ankommt,
an einer neuen Kirche
mitzuwirken, die in diese
Zeit und zu ihren Menschen
passt, und in gemäßer
Weise Antworten auf
ihre Fragen zu geben
versteht.
Antworten,
die auf dem Fundament
des Evangeliums gründen.
Denn Jesu Worte geben
immer noch die Richtung
an. Er ist Weg, Wahrheit
und Leben.
Zwischen die befreiende
und wegweisende Botschaft
des Evangeliums und das
Leben der Menschen jedoch
stellt sich ein anderes Wort,
das Wort der Institution
und ihrer Vertreter.
Das letzte Dokument
der Kleruskongregation
ist ein solches Wort
und hat in der vergangenen
Woche wie eine Bombe
eingeschlagen und
viele, darunter auch
Bischöfe, vor den
Kopf gestoßen.
Als einen weiteren
Beitrag zur Selbstzerstörung
wird dieses jüngste Schreiben
aus Rom gedeutet.
Dabei hören sich die
ersten Seiten des Dokuments
sehr vielversprechend an.
Von Kreativität ist da die
Rede, von neuen Wegen, die
es zu gehen gilt, von Öffnung
und einem neuen Stil der
Zusammenarbeit, von Strukturen,
die einen trügerischen Schutz
gewähren und die blockierend
wirken, von der Fähigkeit zur
Wandlung.
Von Veränderungen in der
Gesellschaft, dem Wechsel
kultureller Modelle, der
Wahrnehmung von Zeit
und Raum, die eine neue
Dynamik vor Ort notwendig
erscheinen lassen, ebenso
wie neue Konzepte
auf Pfarreiebene.
Zugleich wird
wahrgenommen, dass Kirche
und Pfarrei, keineswegs mehr
angemessen auf die vielen
Erwartungen der Menschen
reagieren und bisheriges
pastorales Handeln
überholt ist.
Es berühre die Menschen
nicht mehr und gleiche
einem sterilen
Überlebensversuch.
Viele der Gedanken
bündeln sich in den
Hinweisen:
„In Anbetracht des Gesagten
geht es darum, Perspektiven
auszumachen, die es erlauben,
die „traditionellen“ pfarrlichen
Strukturen … zu erneuern.“
Es ginge zudem darum,
„zu vermeiden, einer exzessiven
Bürokratie und Servicementalität
zu verfallen“, die nur dem
Selbsterhalt dienen würden,
jedoch nicht dem Auftrag
des Evangeliums dienlich
sind.
Beeindruckend scheint mir
vor allem dieser Hinweis:
„Wenn wir das Volk Gottes
als Ganzes und in seinen Unterschieden
verdrängen, zum Schweigen bringen,
zerstören, ignorieren, oder auf eine
kleine Elite beschränken wollen,
setzen wir Gemeinschaften,
pastorale Pläne, theologische
und spirituelle Akzente
und Strukturen ohne Wurzeln,
ohne Geschichte, ohne Gesicht,
ohne Gedächtnis, ohne Leib,
ja, ohne Leben in die Welt.“
Wer könnte all dem nicht
zustimmen und dem Hinweis,
dass zu viel Selbstbezogenheit
und eine Klerikalisierung
des kirchlichen Lebens
zu überwinden seien?
Es lohnt sich, das Dokument
zu lesen. Gerade die ersten Seiten
laden zu einer eigenen persönlichen
Reflexion ein und zeigen sehr
deutlich, was Umkehr der
Pastoral bedeuten soll:
Nämlich eine Erneuerung
der Kirche im Ganzen und
im Besonderen vor Ort, die
in die Verantwortung aller
gegeben ist.
Doch was folgt dann?
Im zweiten Teil des Schreibens?
Ziemlich einseitige
kirchenrechtlich kritisch
abgrenzende und ausgrenzende
Worte folgen und zerschlagen
jedes zuvor noch so verständnisvolle
und hoffnungsweckende
geschriebene Wort.
Die Rolle des Pfarrers
wird hervorgehoben.
Ihm allein bleibt die Gemeindeleitung
vorbehalten. Bestrebungen, die
Leitung von Pfarreien beispielsweise
Teams aus Priester und kirchlich
Engagierten sowie anderen
Mitarbeitern anzuvertrauen,
wird widersprochen.
Ich bin enttäuscht.
Wieder einmal.
Ich bin frustriert.
Wieder einmal.
Ich bin wütend.
Wieder einmal.
Ich bin ratlos.
Wie so oft in
der vergangenen Zeit,
wenn die Institution
in die Schlagzeilen
gerät.
Ich weiß, dass ich
damit nicht allein bin.
Viele Menschen reagieren
in ähnlicher Weise
und dies mit Recht.
Wann beginnen
Verantwortliche dieser
Institution endlich zu begreifen,
dass sie es mit erwachsenen
und mündigen Menschen vor
Ort zu tun haben, die es
durchaus schon seit langem
gewohnt sind, Verantwortung
zu übernehmen und denen
die Zukunft der Kirche und
der eigenen Gemeinde
am Herzen liegt? –
Möglicherweise besser
und mehr als manch
einem geweihten
Haupt.
Meine Befürchtung ist
die: Viele werden dieses
jüngste Schreiben der
Kleruskongregation als
ein weiteres Argument
begreifen, der Kirche den
Rücken zuzukehren
und sich von ihr
zu verabschieden.
Die Austrittszahlen
des vergangenen Jahres,
die erst unlängst veröffentlicht
wurden, sprechen
eine eindeutige Sprache.
Im ersten Korintherbrief
lese ich diese Zeilen:
„Das Alte ist vergangen,
siehe, Neues ist geworden.“
Wir können schon lange
nicht mehr an dem anknüpfen,
woran wir uns früher festgemacht
haben. Unsere Gesellschaft,
die Zeit sind eine andere
geworden, die Menschen
sind andere geworden
und ihre Bedürfnisse
und ihre Sehnsüchte, ihre
Fragen, ihre Sorgen,
ihre Freuden auch.
Damit jedoch Neues
entstehen kann, muss
die Kirche die Veränderung
sehen, sie beurteilen und
sich neu und anders
zu ihr verhalten als
bisher.
Es muss unter theologischen,
personellen, regionalen
und ökonomischen
Rahmenbedingungen
verantwortungsbewusst
und einfühlsam sowie
kreativ und mutig
überlegt, besprochen
und entschieden werden,
in welcher Form Pfarreien
und Gemeinden auch in Zukunft
noch bestehen und
lebendig von Gott
künden können.
Das jetzige Schreiben
mit seinen Aussagen
gleicht eher doch einem
alten Hemd, auf das
ein Stück neuen Stoffs
genäht werden soll;
oder einem altgedienten
rissigen Schlauch, in
den neuer Wein gefüllt
werden soll.
Wir wissen um den Ausgang
des Vergleiches, den Jesus
den Menschen erzählt.
Am Ende zerreißt das Hemd
und der neue Wein ergießt
sich über den ganzen
Boden.
Ich möchte nicht,
dass dies mit meiner
Kirche geschieht!
Ich möchte
Worte des Schriftstellers
Ulrich Schaffer zitieren,
die mir vor Hintergründen,
wie dem benannten immer wieder
in den Sinn kommen.
Er schreibt:
„Altes ist leer geworden.
Er klingt hohl, bringt nichts
mehr zum Schwingen in uns.
Worte, Lieder,
Gesten, Bewegungen,
Gedankengebäude, sie betreffen
uns nicht mehr, und darum
sind wir nicht betroffen.
Es geschieht etwas an
uns aber nicht in uns.
Das Neue ist noch
nicht da. Wir wissen, dass
es kommen wird, weil
wir das Alte verloren haben.
Der Preis des Wartens
scheint ständig zu steigen.
Müdigkeit ist unser gefährlichster
Feind und die Mutlosigkeit
begleitet uns wie ein
ständiger Schatten.
Wollen wir einander helfen
durchzuhalten? Wollen wir
eine Verschwörung bilden,
die in Stärke und Sanftheit
das Neue herbeisehnt?
Hier zu stehen in diesem
Nicht-Mehr und Noch-Nicht,
ist eine Form von Glauben,
und sich die Lösungen der
Vergangenheit nicht mehr
zu genehmigen, ist Ausdruck
des Vertrauens, dass alles
weitergeht, dass es einen
Punkt gibt, auf den wir
zuströmen, dass es eine
Kraft gibt, die die
Entwicklung steuert.“ –
Einander helfen durchzuhalten.
Miteinander immer wieder
das Neue herbei sehnen
und eine Verschwörung
bilden. Wie immer
dies auch konkret
aussehen mag, ich glaube,
dass es darauf ankäme,
jetzt, heute, für eine
Kirche von morgen.
Doch ich habe ich
Befürchtung, dass viele
dessen müde geworden
sind, sie keine Lust mehr
an dem Ganzen haben.
Ich kann sie verstehen.
Lassen wir es nicht
zu, dass die Müdigkeit
zu unserem Feind wird.
Stellen wir uns vielmehr
mutig den Herausforderungen
vor Ort und überlassen wir
uns vertrauensvoll in unserem
Tun dieser Kraft, die alles
steuert und lenkt.
Gott segne Sie
in all ihren Enttäuschungen
und Rückschlägen. Er gebe
Ihnen die Kraft zum Durchhalten
und lasse Sie Ihre Hoffnung
niemals verlieren. Er stärke
immerzu Ihre Sehnsucht
nach dem Neuen, das er mit
Ihnen und seiner Kirche
bereits begonnen hat.
Er segne Sie, dass Sie
nichts von ihm trennt,
denn er ist von allem
der Herr.
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Thomas Diener, Pfarrer