Christen auf der ganzen Welt
gedenken heute des Todes Jesu.
Sie erinnern sich daran, wie es dazu
gekommen ist und wie man Jesus,
dem Sohn Gottes, mitgespielt hat,
wie man gegen ihn vorgegangen
ist, gegen ihn intrigiert hat.
Im weiteren Verlauf
dieser Liturgie, werden wir
eingeladen, Jesus am Kreuz
entgegen zu gehen und den
Gekreuzigten durch eine
Verneigung oder einen Kniefall
zu ehren.
Das Kreuz führt uns
unverhüllt das Geheimnis seines
Leidens und seines Todes
vor Augen.
Während das Kreuz für
die Einen einen Skandal bedeutet,
ist es für uns Christen Ausdruck
der Hoffnung in einem Moment
größter Not.
„Wenn ich dieses Kreuz
nicht immer wieder in meine
Hand nehmen könnte;“ sagte
mir eine zu Tode erkrankte
Frau, „ich wüsste nicht, woher
mir Kraft zukommen würde,
mein Schicksal zu tragen.“
Manche streiten sich um
dieses Kreuz. Soll es nun
öffentlich aufgehängt werden
oder nicht?
Überschreitet das Kreuz
Grenzen des Persönlichen,
die Freiheit des Einzelnen
oder nicht?
Das ist nicht die Frage.
Zumindest heute nicht.
Die Frage könnte
möglicherweise
diese sein:
Was will uns ein Gott
bedeuten, der selbst nicht
davor zurückschreckt,
von Menschen ans Kreuz
genagelt zu werden
und so sein Ende
finden muss?
Die Antwort besteht
in einem einzigen Wort:
Alles.
Gott will uns alles
bedeuten. Gott will uns
alles sein. Dafür geht
er aufs Ganze, hinein
bis in den Tod.
War es nicht das, was
Jesus die Menschen immer
wieder gelehrt hat, dass
Gott ihnen alles bedeuten
möchte und für sie da sein
will?
„Gott“, so sagt Jesus
im Gleichnis, „Gott ist für
euch wie ein guter Hirte.
Gott sorgt sich um Euch.
Gott geht Euch nach, wenn
Ihr euch verloren habt.
Gott holt Euch zurück
auf die saftige Weide,
wo Ihr leben könnt.“
„Gott“, so sagt Jesus
im Gleichnis, „Gott, ist wie ein
guter Vater. Gott läuft
Euch entgegen. Gott umarmt
und küsst Euch, wenn Euer
Geist zerknirscht ist und Ihr
Euch bis in den Boden hinein
schämt.“
„Gott“, so sagt Jesus,
„Gott ist die Liebe. Er liebt Euch
ohne Vorleistungen, ohne
Wenn und Aber, mit einer
Liebe, wie sie Menschen
gar nicht erst möglich ist.“
Im ersten Johannesbrief
lese ich:
„Die Liebe Gottes
wurde unter uns dadurch offenbart,
dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt
gesandt hat, damit wir durch ihn
leben.“
Und was tun die Menschen,
vornehmlich jene, denen
Jesus von Anfang an ein
Dorn im Auge gewesen ist?
Sie hängen
die Liebe an den Nagel.
Sie weißen die Liebe zurück.
Sie treten die Liebe mit Füßen.
Sie schlagen nah ihr
und spucken sie an.
Sie entstellen sie
und lachen sie aus.
„Was ist der Mensch,
dass du an ihn denkst“,
fragt der Beter eines
Psalms.
„Was ist der Mensch,
dass er Gott verstößt?“
frage ich mich.
Die Frage reicht weiter:
Sie wirft einen kritischen
Blick auch darauf, wie Menschen
miteinander umgehen.
Wir wissen:
Menschen bewirken Wunderbares.
Menschen zerstören Wunderbares.
Menschen lieben aus ganzem Herzen.
Menschen hassen aus ganzem Herzen.
„Was ist der Mensch,
dass er Gott verstößt?
Was ist der Mensch,
dass er andere Menschen
quält und malträtiert?“
Ich komme mit dieser
Frage an einen Punkt, an
dem ich selbst keine Antwort
weiß. Meine Antwort ist
sehr oft nur bloßes Entsetzen,
Furcht, Verzweiflung und
Angst vor der Besessenheit
von Menschen, die oft nur
noch blind um sich schlagen,
treten, missbrauchen,
schießen, morden.
Mit diesen unbeantworteten
Fragen finde ich mich heute unter
dem Kreuz wieder. Und ich lasse mir
erzählen, wie Jesus auf die
Angriffe seiner Umwelt reagiert
hat. Ein einziges Wort nur
kommt ihm dabei über die
Lippen: „Warum?“
Ich befürchte, dass auch ich
keine Antwort auf diese
Frage bekomme. Gott lässt
mich einfach so unter dem
Kreuz seines Sohnes stehen. –
Ob das möglicherweise
seine Antwort ist, das
Kreuz und damit all das,
was uns zum Kreuz werden
kann und das aus diesem
Leben einfach nicht
wegzudenken ist?
Im Kreuz sei Heil.
Im Kreuz sei Leben.
Heißt es.
Nein und nochmals nein.
Nur im Kreuz allein sind kein
Heil und kein Leben
zu finden.
Damit das Kreuz
für uns zum Zeichen
der Erlösung werden
kann, muss es besiegt
werden.
Das Zerstörende in dieser
Welt muss überwunden
werden. Genau davon erzählt
uns Ostern.
Die Liebe, die
sich am Kreuz angenagelt
findet, lässt sich nicht an
den Nagel hängen. Sie
lebt fort, auch über die
Erfahrung des Todes
hinaus. Und jeder, der
an diese Liebe glaubt
und sie lebt, auch.
Das lässt mich
zuversichtlich
im Anschluss das Kreuz
entgegennehmen, wissend
um die vielen anderen Kreuze,
die in dieser Welt von Menschenhand
errichtet werden und darum,
dass Christus ihre Macht
endgültig gebrochen hat.
„Seht das Holz des Kreuzes,
an dem das Heil der Welt
gehangen.“