Sehnsucht
Wenn nicht hinter den Worten,
hinter den verzweifelten Blicken,
hinter der bewussten Abwendung,
hinter Erfolg und Verzicht
nur die unstillbare Sehnsucht
nach Nähe wäre, woher käme
dann die Unruhe, die dich vor dem
Fenster auf uns ab gehen lässt,
bis du kalt oder heiß
geworden bist?
Der kanadische Schriftsteller
Ulrich Schaffer stellt diese
Frage. Er vermutet, dass
vieles, um nicht zu sagen,
nahezu alles, durch die
Sehnsucht des Menschen
nach Nähe und Geborgenheit
die in seinem Herzen ruht,
bestimmt wird.
Diese Sehnsucht lässt
ihn unruhig sein, vor
dem Fenster auf und ab
gehen, unermüdlich.
„Alles beginnt mit der
Sehnsucht.“ Diesen Satz
hat die jüdische Schriftstellerin
Nelly Sachs geprägt.
Und mit dem Lied
zu Beginn dieser Feier
bringen wir unsere tiefe
Sehnsucht zum Ausdruck:
„Da wohnt ein Sehnen
tief in uns, o Gott, nach dir,
dich zu sehn, dir nah zu sein.
Es ist ein Sehnen, ist ein Durst
nach Glück, nach Liebe, wie
nur du sie gibst.“ (GL 828)
Unsere Sehnsucht hat demnach
ein Ziel. Und dieses Ziel ist Gott.
Mit ihm erfüllt sich alles, wonach
sich unser Herz sehnt:
Glück,
Liebe,
Frieden,
Freiheit,
Hoffnung,
Einsicht,
Beherztheit,
Beistand,
Heilung,
Ganzheit,
Zukunft.
Die Sehnsucht eines Menschen
erfüllt sich nicht immer sofort.
Manchmal dauert es sehr
lange, bis das Herz erfüllt
ist, von dem, wonach es
sich sehnt.
Wir treffen heute auf
Hanna. Sie ist ein zurückhaltender
Mensch. Ihr Leben ist karg.
Dabei war auch sie einmal
jung. Ein Mensch mit Träumen,
Hoffnungen und Sehnsüchten.
Die meiste Zeit ihres Lebens
verbrachte sie allein. Der Tempel
wurde zu ihrem Zuhause.
Dort fühlte sie sich wenigstens
Gott nah. Diese Nähe tat ihr
gut.
Hanna bedeutet so viel wie
„Gnade, Gunst.“
Am Ende ihres Lebens
wird ihr Gnade und Gunst
gewährt. All ihre Träume
finden ihre Erfüllung in dem
Moment, in dem sie
das Kind erblickt,
das göttliche.
Im Psalm lesen wir:
„Gott, du mein Gott, dich
suche ich, meine Seele
dürstet nach dir …
Darum halte ich Ausschau
nach dir im Heiligtum,
um deine Macht und Herrlichkeit
zu sehen …
Ja, du wurdest meine Hilfe,
jubeln kann ich im Schatten
deiner Flügel.
Meine Seele hängt an dir,
deine rechte Hand hält
mich fest. (Ps 63)
Welche Sehnsucht
lässt uns unruhig sein,
vor dem Fenster auf und
ab gehen? Kennen wir
das Verlangen unseres
Herzens?
…
„Dass du, Gott, das Sehnen,
den Durst stillst, bitten wir.
Wir hoffen auf dich, sei da,
sei uns nahe Gott.“
Gott ist da.
Mitten unter uns.
Auch jetzt.
Unsere Sehnsucht
hat ein Ziel.
Ihr kommt Gott entgegen.
Weihnachten trägt
diese Zusage in
sich.
Der evangelische Dichter
und Theologe Albrecht Goes
hat einen wunderbaren Hymnus
verfasst:
Die Stimmen der Anbetung
Wir suchen dich nicht.
Wir finden dich nicht.
Du suchst uns und Du findest uns,
Ewiges Licht.
Wir lieben dich wenig,
Wir dienen Dir schlecht,
Du liebst und Du dienst uns.
Ewiger Knecht.
Wir eifern im Unsern
Am selbstischen Ort,
Du musst um uns eifern,
Ewiges Wort.
Wir können Dich, Kind,
In der Krippe, nicht fassen.
Wir können die Botschaft
nur Wahr sein lassen.
Hanna bedeutet so viel wie
„Gnade, Gunst“.
Die Wahrheit ist die:
Wir sind Begnadete.
Wir sind Begünstige.
Von Gott begnadet.
Von Gott begünstigt.
Impuls
Hanna ist der Inbegriff von
Geduld. Sie steht für die
Fähigkeit, auszuharren,
warten zu können, etwas
zu erwarten, auch wenn überhaupt
nicht klar ist, was es ist und
wann es sich zeigt.
Herr, schenke uns Geduld
und ermutige uns auf unserem
Weg zu Dir, wenn wir müde und
ungeduldig zu werden drohen.
Segen
Gott segne euch mit Wachsamkeit,
die ihn immer erwartet. Er segne
euch mit einem geschärften Blick,
der sich nicht durch Äußerlichkeiten
täuschen lässt. Er segne euch mit
Liebe, die euch seine Liebe spüren
lässt.