Das ist das Revolutionäre
an der ganzen Botschaft Jesu,
dass er den Menschen dazu
auffordert die Dinge zu tun,
die der Mensch von sich aus niemals
selbstverständlich tun würde.
So hatte man es Menschen
zunächst gelehrt und so hatten sie es
von Anfang an begriffen:
Hass Deine Feinde.
Schlag den nieder,
der dich zuerst
geschlagen hat.
Lass Dir nichts weggenehmen.
Besteh auf Deinem Recht und
setze es durch.
Sei zu denen gut, die auch
zu dir gut sind.
Doch es sollte noch
schlimmer kommen:
Für ihre
ganz eigenen Belange
nahmen Menschen selbst Gott
in Anspruch und scheuten
sich nicht davor, ihn
vor den Wagen ihrer
ganz eigenen Absichten
zu spannen.
So missbrauchten Menschen
nicht nur andere Menschen.
Sie missbrauchten auch
ihren eigenen
Gott.
Das Alte Testament
erzählt davon auf über
vielen hunderten von
Seiten.
Nein, sagt Jesus,
das ist der falsche Weg.
Und selbst dann, wenn dieser
Weg von vielen gegangen
wird, so schlage du ihn
nicht ein. Nimm einen
anderen.
Verhalte dich anders
und wenn es sein muss,
schwimm gegen den
Strom. Denn:
„Ein neues Gebot gebe
ich euch: Wie ich euch
geliebt habe, so sollt
auch ihr einander lieben.“
Liebt eure Feinde.
Tut denen Gutes, die euch hassen.
Segnet die, die euch verfluchen.
Haltet dem die Wange hin,
der euch schlagen will.
Gebt ohne Absicht.
Eine aufrichtige Liebe
zu Gott, meint Jesus,
äußert sich auch in der
Liebe gegenüber dem
Nächsten. Die Liebe drängt
danach, sich zu teilen
und sich zu verschenken.
Das ist das Revolutionäre
an der ganzen Botschaft Jesu,
dass er den Menschen dazu
auffordert die Dinge zu tun,
die der Mensch von sich aus niemals
selbstverständlich tun würde.
Damals nicht.
Und heute?
In welcher Gesellschaft
leben wir heute?
Welche Maßstäbe setzen
die Menschen,
mit denen wir zu tun haben?
Was sind die Werte, die
uns unsere Gesellschaft und ihre
Einrichtungen, auch die Kirchen,
lehren und für die sie
stehen?
Nein, ich will diese Fragen
nicht wirklich vertiefen, weil
ich mich vor den Antworten
fürchte. Weil ich fürchte,
dass es in vielen Bereichen
so ganz anders ist,
als wir uns dies
so gerne vormachen,
nicht nur in unserer Kirche,
aber gerade doch auch hier
und zwar an dem Ort und in einem
System, wo Jesu Einladung,
die Liebe zu leben, immer wieder
angenommen werden sollte.
Vieles erscheint
so verlogen und bösartig.
Es geht um die Macht
des Stärkeren. Es geht um
Erfolg und Einfluss. Er geht
um Gewinn und Geld.
Es geht um ganz eigene
Interessen.
Auch in der Kirche.
Die zahllosen Missbrauchsskandale
in unseren eigenen Reihen decken
diese Grundhaltungen zunehmend
auf. Das ist beschämend und
verletzend und demütigend.
Das macht auch wütend.
Es zerstört zudem bei vielen
noch das bisschen
vorhandene Glauben
an einen Gott, der
so vieles so anders
gewollt hat und
will.
Viele Bemühungen von Menschen
zielen ausschließlich daraufhin ab,
sich selbst vor Schaden zu bewahren.
Sie zielen daraufhin ab, das Ich,
das ganz eigene, in den
Vordergrund zu stellen.
Und so verbringen viele
ihre Zeit damit, den ganz eigenen
Kopf in dem Wandel dieser Zeit
und den Herausforderungen
dieser Welt über Wasser
zu halten.
Sie weichen jedoch
dem Blick der anderen
aus und auch den ganz
wesentlichen Entscheidungen,
die mit dem Menschen und
seiner Existenz verbunden und
zu treffen sind.
Auch in der Kirche.
Namhafte Theologen
Und Katholiken in Führungspositionen
riefen in den vergangenen Wochen
zu einem tiefgreifenden Wandel
in der Kirche auf. Wieder einmal.
In einem offenen Brief
an den Vorsitzenden der DBK,
Kardinal Marx, schreiben sie,
an alle Bischöfe gerichtet:
"Binden Sie sich selbst durch echte
Gewaltenteilung - das passt besser
zur Demut Christi und in den
Rahmen der für Sie alle geltenden
Gesetze.
Bauen Sie die Überhöhungen
des Weiheamtes ab und öffnen
Sie es für Frauen.
Stellen Sie den Diözesanpriestern
die Wahl ihrer Lebensform frei,
damit der Zölibat wieder glaubwürdig
auf das Himmelreich verweisen kann."
Außerdem fordern sie
einen "Neustart mit der Sexualmoral",
einschließlich einer "verständigen
und gerechten Bewertung
von Homosexualität."
Die Unterzeichner des Briefes
bitten Kardinal Marx, in Rom
den "wichtigsten Ertrag" der von
den deutschen Bischöfen beauftragten
Missbrauchsstudie zur Sprache zu bringen:
"Missbrauch in unserer Kirche
hat auch systemische Gründe",
meinen die Unterzeichner.
Das ist das Revolutionäre
an der ganzen Botschaft Jesu,
dass er den Menschen dazu
auffordert die Dinge zu tun,
die der Mensch von sich aus niemals
selbstverständlich tun würde.
Zwei Wochen ist es her,
da verfolgte ich im Fernsehen
eine Gespräch zwischen
dem Erzbischof von Wien,
Christoph Kardinal Schönborn
und einer ehemaligen
Ordensfrau, eine vom
Missbrauch betroffene
Frau, die mittlerweile
verheiratet ist und
eine Familie hat.
Das Gespräch verlief
in einer für das Medium
Fernsehen außergewöhnlichen
Atmosphäre.
Offen, wertschätzend,
anerkennend, empathisch,
miteinander ringend und
suchend. Ich war sehr
berührt von diesem
Gespräch und zugleich
zutiefst beschämt
über seine Inhalte.
Was mir das Zusammensein
dieser beiden Menschen gezeigt hat ist,
dass Dialog funktionieren kann.
Dass Menschen zueinander finden
können, trotz aller Verletzungen,
die man ihnen zugefügt hat.
Dass man zwar nicht immer
um eine adäquate Antwort
weiß, dass jedoch schon
die bloße Bereitschaft,
dem anderen Zeit und Aufmerksamkeit
zu schenken, heilend
sein kann.
Dass niemand davon entbunden
ist, den ersten Schritt auf den
anderen zuzutun.
Dass es mit Gottes Hilfe
gelingen kann, Mauern
einzubrechen und
Verbindungen von
Mensch zu Mensch
entstehen zu lassen.
Das ist das Revolutionäre
an der ganzen Botschaft Jesu,
dass er den Menschen dazu
auffordert die Dinge zu tun,
die der Mensch von sich aus niemals
selbstverständlich tun würde.
Haben wir Mut, das von vielen
nicht mehr als selbstverständlich
Geachtete zu tun.
Haben wir Mut,
zu anderen Maßstäben und Werten,
die das Angesicht des Menschen
und das Angesicht dieser Welt
verändern können.
Haben wir Mut, in unserer
Kirche mit den Maßstäben
des Evangeliums, es sind
Gottes Maßstäbe,
zu messen.
Denn das ist das Gebot,
das Jesus gerade seiner Kirche
ans Herz gelegt hat:
Einander zu lieben,
wie er uns geliebt hat.
Denn nach dem Maß mit dem
wir messen, wird uns zugemessen
werden.
Der Katholikenrat unserer
Diözese sagt in seiner jüngsten
und sehr lesenswerten Stellungnahme
zum Thema sexueller Missbrauch
in der katholischen Kirche und
den Folgen:
„Es braucht eine Dialog-
und Konfliktkultur auf allen Ebenen
kirchlichen Lebens, in der auf Augenhöhe,
wertschätzend, transparent und offen
gemeinsam um die Zukunft der Kirche
gerungen wird.
Nur so kann verloren gegangenes
Vertrauen zurückgewonnen werden,
das notwendig ist, um unserem Auftrag
als Christinnen und Christen in der Welt
von heute gerecht zu werden.“
In diesem Sinne möchte
ich bitten:
Herr, erwecke deine Kirche
und fange bei mir an.
Herr, baue deine Gemeinde
auf und fange bei mir an.
Herr, bringe deine Liebe
und Wahrheit zu allen
Menschen und fange
bei mir an.