Es gibt Erzählungen, die wollen weitererzählt
werden. Erzählungen, die es wirklich in sich
haben, weil sie zum Nachdenken anregen
und zu einem ehrlichen Bekenntnis.
Die Bibel ist voll von solchen Erzählungen.
Sie erinnern sich vielleicht noch an
das Evangelium des vergangenen
Sonntags.
Viele Menschen wenden sich
von Jesus ab, weil für sie das,
was er zu sagen hat,
unerträglich ist.
Am Ende stellt Jesus seinen
Jüngern die Frage: „Wollt auch
ihr weggehen?
In einer Zeit, in der viele
Menschen aus ganz unterschiedlichen
Gründen der Kirche den Rücken
zukehren und sich zurückziehen
und austreten, stellt sich
die Frage unausweichlich
auch jedem von uns:
„Wollt auch ihr weggehen?“
Petrus legt ein sehr eindeutiges
Bekenntnis ab und positioniert
sich vor allen anderen:
„Herr, wohin sollen wir gehen.
Du hast Worte des ewigen
Lebens. Wir sind zum Glauben
gekommen und haben erkannt:
Du bist der Heilige Gottes.“
Von Martin Buber stammt
eine Erzählung, die die Frage
vom vergangenen Sonntag
weiterführen kann:
In der Stadt Ropschitz,
so erzählt er,
pflegten die Reichen, deren Häuser einsam
oder am Ende des Ortes lagen,
Leute anzustellen,
die nachts über ihren Besitz
wachen sollten.
Als Rabbi Naftali eines Abends
spät am Rande des Stadtwaldes
spazieren ging, begegnete er
solch einem Wächter.
„Für wen gehst du?“ fragte er ihn.
Der gab Bescheid, fügte jedoch
die Gegenfrage hinzu:
„Und für wen geht Ihr, Rabbi?“
Diese Frage traf den Rabbi wie ein Pfeil.
„Noch gehe ich für niemand“, brachte er
mühsam hervor. Dann ging er lange
und schweigend neben dem Wächter her.
Schließlich fragte er ihn:
„Willst du mein Diener werden?“ –
„Das will ich gern“, antwortete jener,
„aber was habe ich zu tun?“
„Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali.
„Für wen gehst du?“
Für wen gehe ich in meinem Leben?
Gehe ich nicht oft für mich selbst?
Gehe ich für eine Sache, eine Institution,
eine Einrichtung? Gehe ich für andere?
Die Geschichte sagt,
dass der Rabbi von dieser Frage
bis ins Herz getroffen war.
Diese Frage, vom Wächter so leicht hingeworfen,
wird plötzlich zu einer persönlichen Gewissensfrage,
zur Existenzfrage, zu einer Frage, die auf`s Ganze geht.
Und dies bei einem,
der ganz gewiss nicht oberflächlich lebt.
Der Rabbi hat vielleicht schon jahrelang
intensiven Umgang mit der Tora.
Er studiert und meditiert jeden Tag
intensiv das Gesetz des Herrn.
Er kennt die Weisungen Gottes.
Er spricht jeden Tag seine Gebete.
Und doch gesteht er:
„Noch gehe ich für
niemand!“
„Für wen gehst du?“
Für wen gehe ich
in meinem Leben?
Weiß ich es?
Vielleicht habe ich schon
jahrelang Umgang mit dem Wort Gottes,
verrichte täglich bestimmte Gebete,
gehe Sonntag für Sonntag zur Kirche,
mache vielleicht sogar Jahr für Jahr
Besinnungstage oder Exerzitien mit.
Und trotzdem:
Ist sie nicht berechtigt, diese Frage?
Und ist es nicht notwendig und gut,
sich davon treffen zu lassen,
ihr nachzusinnen?
Wem fühle ich mich
verbunden, verpflichtet?
Für wen habe ich mich entschieden?
Für wen setze ich Zeit, Kraft, Ideen,
Fleiß und Mühe ein?
Können andere an mir sehen,
dass ich für Gott gehe?
Dass mein ganzes Handeln und Denken,
Leben und Leiden für Gott
„steht und geht“? –
Können andere Menschen
das an mir wahrnehmen?
Merkt man mir das an?
Wie ist es mit meiner Sehnsucht
nach Gott, meinem Gott Suchen?
Wie sieht es aus mit meiner
Liebe zu ihm?
Bin ich ein Entzündeter,
ein von Gott Gepackter und Ergriffener?
Ist noch Leidenschaft für Gott
in meiner Seele?
Oder bin ich erkaltet,
lau, mittelmäßig, träge,
oberflächlich geworden,
vielleicht - und im Grunde genommen sogar –
gottvergessen?
„Für wen gehst du?“
Diese Frage ist für mich so etwas
wie eine Gretchenfrage.
Und ich meine:
für uns Christen spitzt sich
die Frage noch zu:
„Gehst du für Jesus Christus?“
Gestaltest du dein Leben mit ihm?
Ist dein Leben auf ihn hin ausgerichtet?
Wirklich? Oder nur vordergründig?
Heißt du nur Christ oder bist du Christ?
Bist du es halb oder ganz, nur irgendwie,
je nach Lust und Laune oder mit Leib und Seele,
aus ganzem Herzen, mit Feuereifer,
mit allen deinen Kräften?
Als der Wächter den Rabbi fragt:
„Was habe ich in deinem Dienst zu tun?“ –
da antwortet jener: „Mich zu erinnern!“
Er weiß, dass er jemanden braucht,
der ihn erinnert, für wen und
für was er in seinem Leben gehen soll.
Brauchen wir nicht auch immer
wieder die Erinnerung?
Vergessen wir im Alltag der Pastoral
und im Trubel unserer ganz eigenen
persönlichen Tage nicht allzu leicht,
für wen wir gehen,
was wirklich wichtig ist,
was unserem Leben Sinn und Ziel gibt,
was es wirklich reich und echt froh macht?
Lassen Sie uns eine Verschwörung
bilden, in unseren Gemeindeausschüssen,
im Pfarreirat, in den Gremien und
Verbänden, in unseren Gemeinden,
indem wir uns immer
wieder einander aufs Neue
daran erinnern, für wen
wir gehen – gehen sollten.