„Wir haben ein Gesetz
und nach diesem Gesetz …“
Sie haben nicht nur
ein Gesetz. Sie haben viele
Gesetze, die das Leben
bestimmen - vom Beginn
eines Tages an bis zur
Bettruhe am Abend.
Jene, die das Evangelium
als Pharisäer und Gesetzeslehrer
bezeichnet, die Juden.
„Wir haben ein Gesetz
und nach diesem Gesetz …“
… darf am Sabbat nicht geheilt
oder eine andere Arbeit verrichtet werden;
… ist eine Frau, die die Ehe bricht
mit dem Tod zu bestrafen;
… müssen Aussätzige gemieden
und aus der Stadt verbannt werden;
… sind Teller und Becher rein zu halten
und die Hände vor dem Essen zu waschen;
… darf ein Jude nur koscheres Fleisch essen;
… muss in Zeiten des Fastens gefastet
werden …
„Wir haben ein Gesetz
und nach diesem Gesetz …“
Auch die Kirche hat ein Gesetz.
Sogar ein ganzes Buch mit Gesetzen.
Das kirchliche Gesetzbuch.
Es zählt über 1700 Canones.
Alles ist minutiös geregelt
und vorgeschrieben.
Doch im Mittelpunkt des
Auftrages der Kirche stehen nicht
das Gesetz und die legale Gerechtigkeit,
sondern immer die Liebe Gottes.
Sie allein versteht im Herzen
eines Menschen zu lesen, um seine
verborgenste Sehnsucht zu erfassen
und kann im Leben
der Kirche und Getaufter nicht ein
bloßer Einschub sein, sondern
macht ist ihr eigentliches Leben
aus.
Ja, die Kirche hat ein Gesetz.
Aber Gott hat ein Herz, und Vergebung
und Barmherzigkeit sind das sichtbarste
Zeichen der Gegenwart und Nähe
Gottes, seiner Liebe zu uns Menschen.
Was dies konkret meinen kann,
ist dem apostolischen Schreiben
des Papstes „Misericordia et Misera“,
das er anlässlich des Abschlusses
des Heiliges Jahres der Barmherzigkeit
verfasst hat, an einem von
vielen Beispielen zu entnehmen:
„… damit dem Wunsch nach
Versöhnung und der Vergebung Gottes
nichts im Wege stehe, gewähre ich von nun
an allen Priestern die Vollmacht,
kraft ihres Amtes jene loszusprechen,
welche die Sünde der Abtreibung begangen
haben. Was ich auf den Zeitraum
des Jubeljahres begrenzt gewährt habe,
wird nun zeitlich ausgedehnt, unbeachtet
gegenteiliger Bestimmungen.
Ich möchte nochmals mit aller
Kraft betonen, dass Abtreibung eine
schwere Sünde ist, da sie einem
unschuldigen Leben ein Ende
setzt. Mit gleicher Kraft kann
und muss ich jedoch sagen,
dass es keine Sünde gibt,
die durch die Barmherzigkeit
Gottes nicht erreicht und vernichtet
werden kann, wenn diese ein
reuevolles Herz findet, das
um Vergebung mit dem Vater bittet.“
„Wir haben ein Gesetz
und nach diesem Gesetz …“
Jesus hebt das Gesetz nicht
auf. Das betont er immer wieder.
So auch im gehörten Evangelium.
Doch er setzt neben den Maßstab
des Gesetzes einen neuen und
anderen Maßstab, einen, der alles
übersteigt: den Maßstab der
Barmherzigkeit.
Es gibt weder ein Gesetz
noch eine Vorschrift, die es Gott
verbieten könnten, den Menschen
immer wieder in seine Arme
zu schließen, dem, der zu ihm
zurückkehrt und entschlossen
ist, wieder von vorne anzufangen.
Nur bei dem Gesetz stehen zu
bleiben bedeutet, den Glauben
und das göttliche Erbarmen
zu vereiteln. Bedeutet, sich
über die Langmut, die Geduld,
das Erbarmen, die Liebe Gottes
lächerlich zu machen.
Langmut,
Geduld,
Erbarmen
und Liebe unseres Gottes
erneuern und erlösen den
Menschen. Hierbei begegnen
sich zwei Herzen: das Herz
Gottes, das dem Herz des
Menschen entgegenläuft.
Ja, die Kirche hat ein Gesetz.
Aber Gott hat ein Herz!
Franziskus schreibt:
„Dies ist die Zeit der Barmherzigkeit.
Jeder Tag unseres Weges ist von Gottes
Gegenwart geprägt, der unsere Schritte
mit der Kraft der Gnade führt, die der
Heilige Geist in unser Herz eingießt,
um es zu bilden du fähig zu machen
zu lieben.
Es ist die Zeit der Barmherzigkeit
für alle und jeden, damit niemand
denkt, der Nähe Gottes und der Macht
seiner Zärtlichkeit fern zu sein.
Es ist die Zeit der Barmherzigkeit,
damit alle Schwachen und Wehrlosen,
Fernen und Einsamen die Anwesenheit
der Brüder und Schwestern wahrnehmen
können, die sie in ihren Nöten unterstützen.
Es ist die Zeit der Barmherzigkeit,
damit die Armen den respektvollen und
doch aufmerksamen Blick jener auf sich
spüren, die nach Überwindung der
Gelichgültigkeit das Wesentliche des
Lebens entdecken.
Es ist die Zeit der Barmherzigkeit,
damit jeder Sünder nicht müde wird,
um Vergebung zu bitten und die Hand
des Vaters zu spüren, die uns
immer aufnimmt und an sich
drückt.“
Solche Worte erlauben es,
all jenen aufzuatmen, die sich
durch die Gesetze der Kirche, oder
das Gerede und die Blicke der
vermeintlichen Gutchristen,
bevormundet, abgedrängt,
ausgeschlossen, nicht
zugelassen fühlen.
Gott schließt niemanden
aus! Jedem erlaubt er es,
ihm nahzukommen.
Wer immer Barmherzigkeit
einmal erfahren hat, kehrt nicht
mehr hinter sie zurück.
Barmherzigkeit wächst ständig.
Sie verändert das Leben und
schafft aus einem Herz
aus Stein, ein Herz aus
Fleisch und Blut, das mitfühlt,
das sich sorgt, das sich eines
anderen annimmt.
Barmherzigkeit schenkt
auch Freude.
Die Gewissheit zu vermitteln,
dass Gott uns liebt, ist keine rhetorische
Übung, sondern eine Bedingung
für die Glaubwürdigkeit eines
Christenmenschen und
der gesamten Kirche.
Sie bleibt auch die Herausforderung
für die konkrete Gemeinde vor Ort.
Die Unglaubwürdigkeit einer
Gemeinde und ihrer Menschen
zeigt sich in Streit und Missgunst,
in Ärger und Groll, in Intrige und
Verleumdung, in Abgrenzung und
Spott.
Bei all dem
fehlt es ihr an Liebe.
Das Fehlen der Liebe
jedoch macht eine Gemeinde
und ihre Menschen lächerlich,
unglaubwürdig und verlogen,
weil sie nicht wirklich für
das einsteht, wofür sie
einstehen und sich einsetzen
sollte.
„Wir haben ein Gesetz,
und nach diesem Gesetz …“
Die Liebe ist der erste Akt,
mit dem Gott sich uns zu erkennen
gibt und uns entgegenkommt.
Nicht das Gesetz.
Halten wir
daher unser Herz offen
für das Vertrauen, von Gott
geliebt zu sein.
Seine Liebe kommt uns immer
zuvor, begleitet uns und bleibt
an unserer Seite, trotz jeder
Unzulänglichkeit, die uns
Menschen zu eigen sein
kann.