2. Advent
Das Bild spricht
mich an :
„… Wolf und Lamm
wohnen beieinander.
Der Panther liegt beim Böcklein.
Kalb und Löwe weiden zusammen …
Der Löwe frisst Stroh, wie das Rind.
Der Säugling spielt vor
dem Schlupfloch der Natter.
Man tut nichts Böses mehr.
Man begeht kein Verbrechen
mehr…“
Ich frage mich:
Was bringt Jesaja
zu einem solchen Bild?
Welche Wünsche,
welche Sehnsüchte stecken
hinter seiner Vision?
Ich meine, dass sich
die Wünsche und Bedürfnisse
des Propheten nicht wesentlich von
unseren ganz eigenen Sehnsüchten
unterscheiden.
Jesaja erlebt, was auch wir jeden
Tag, wenn nicht in unserem
eigenen Alltag, dann durch
die Medien vermittelt,
erleben müssen:
Krieg.
Terror.
Zerstörung.
Hass.
Ungerechtigkeit.
Ausbeutung.
Klagen.
Sorgen.
Angst.
Diskriminierung,
Abweisung.
Zerrissenheit.
Auf Dauer hält das
kein Mensch aus.
Kein Prophet nicht.
Kein Volk nicht.
Auch wir nicht.
Denn der Mensch
sehnt sich in seinem
Herzen nach etwas
anderem. Er verlangt
in der Tiefe seiner
Seele nach:
Freude,
Verstehen,
Auskommen,
Miteinander,
Begegnung,
Vergebung,
Liebe,
Erfüllung,
Leben.
Jesaja
beschreibt es mit
den Worten:
Erkenntnis,
Gerechtigkeit,
Gottesfurcht.
Was soll der Mensch
erkennen? Welche Einsicht
soll grundlegend sein für
sein Leben, das der anderen
und dieser Welt?
Grundlegend ist die
Feststellung, dass sich der
Mensch verdankt. Dass es
ihn gibt, das konnte er
nicht selber machen.
Das war der Plan eines
anderen. Der Mensch
ist eine Absicht Gottes.
Jeder von uns ist
eine Idee Gottes.
Und Gott will, dass
wir leben!
Unabhängig von
Hautfarbe,
Nationalität,
und Religion.
Aus dieser Erkenntnis
resultieren: der Wert,
und die Würde eines jeden
Menschen, seine Einzigartigkeit
und Einmaligkeit sowie
die Achtung vor
jedem Menschen
und dem Leben
überhaupt.
Das haben viele mittlerweile
vergessen. Stattdessen werden
der Wert des Lebens in Frage
gestellt; die Würde des
Menschen mit Füßen getreten
und Wertschätzung und Achtung
aus dem zwischenmenschlichen
Verhaltenskodex gestrichen.
So kann es nicht
weitergehen! So darf
es nicht weitergehen.
Da muss sich was ändern.
Im Menschen selber.
Von Mensch zu Mensch.
In der Welt.
Wesentliches.
Diese Einsicht teilen
viele unter uns.
Einsicht allein jedoch
reicht nicht aus.
Sie ruft nach Umsetzung.
Sie fordert Umkehr ein.
Der Prophet verlangt
nach Gerechtigkeit unter
den Menschen.
Was gerecht ist, bestimmt
zumeist der einzelne Mensch
selber, obwohl es durchaus
übergeordnete Instanzen
gibt, die für Gerechtigkeit
zu sorgen haben.
Gerecht geht es für
viele dann zu, wenn das,
worum es geht,
dem Menschen in
den Kram passt;
wenn der Mensch selber nicht
als Verlierer dastehen muss;
wenn er selber Nutzen aus
einer Sache ziehen kann.
Es geht schon lange nicht
mehr um Gerechtigkeit unter
Menschen.
Es geht vornehmlich
um Sieger und Verlierer.
Es geht um Gewinn und Verlust.
Es geht darum, sein Gesicht
zu wahren oder zu verlieren.
Die Erfahrung lehrt:
Im ständigen Kampf um
die vordersten Plätze
kann es nicht gerecht zugehen.
Korruption, Intrige und Betrug
erweisen sich als von vielen
anerkannte Mittel,
seine ganz eigenen Absichten
durchzusetzen und nach
vorne zu kommen.
Manche reden in diesem
Zusammenhang von einem
Kavaliersdelikt.
Mit der Gerechtigkeit
verliert auch die Ehrlichkeit
unter Menschen an Einfluss.
Gerechtigkeit, wie sie
Gott versteht, bedeutet
zuallererst Barmherzigkeit.
Am Ende zählt die Fähigkeit,
sich eines anderen erbarmen zu können;
die Bereitschaft zur Vergebung und
dass sich einer des anderen
annimmt, so wie es Gott
selber getan hat.
Die Liebe zu Gott,
Jesaja spricht von Gottesfurcht,
was auch so viel bedeuten kann,
wie dass ich Gott anerkenne
und seinen Willen achte,
macht die Haltung der
Barmherzigkeit möglich.
Paulus meint
in seinem Brief an die Römer:
„… nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen
hat, zur Ehre Gottes.“
Wir sind von Gott angenommene
Menschen. Deshalb können und
müssen auch wir uns einander
annehmen, einer des anderen:
der Starke des Schwachen,
der Reiche des Armen,
der Frohe des Traurigen,
der Gesunde des Kranken,
der, der aufrecht steht, dessen,
der zu Fall gekommen ist,
der Versöhnte des Unversöhnten,
der, der den Weg gefunden hat
dessen, der nach Richtung, Sinn
und Orientierung sucht und
der Hoffende, des Zweifelnden,
dessen, der nicht vertrauen
und glauben kann.
Vielerorts wird solche
Nächstenliebe praktiziert.
Das ist wichtig.
Das ist richtig.
Das ist gut so.
Und auch das ist richtig:
Immer wieder gibt es
auch ein zu wenig an
Liebe zum Nächsten.
Der menschlichen
Absicht, Gutes zu tun,
werden durchaus auch
Grenzen gesetzt.
Eigensinn,
Eifersucht,
Neid, Habgier …
sind die Hindernisse.
Johannes der Täufer,
dessen Ruf uns auch
in diesem Advent erreichen
will, spricht von Umkehr.
„Kehrt um!“
Umzukehren könnte
in diesem Zusammenhang
bedeuten, auf eine neue
Weise Erkenntnis von Gottes
Absichten mit uns Menschen zu
erlangen.
Uns zunehmend die Haltung
der Barmherzigkeit zu eigen
zu machen.
Und schließlich Gott
zu fürchten, also seinem
Wort Vertrauen zu schenken
und seine Weisung
zu achten, die maßgebend
nur in dem einen besteht:
Einander zu lieben, wie
er uns geliebt hat.
Einander anzunehmen,
wie er uns angenommen hat,
in Christus Jesus.
Er bringt uns das Licht.
Er lässt uns verstehen.
Er macht uns heil.
Er schaut uns an.
Er macht uns zur
Liebe fähig.
In ihm fallen alle
Gegensätze und Widersprüche
unseres Lebens in sich zusammen.
Durch ihn kann wahr werden,
was der Prophet vor mehr
als 2500 Jahren in einem Bild zum Ausdruck
bringt und sicherlich und hoffentlich nicht
nur in mir Anklang findet:
„… Wolf und Lamm wohnen
beieinander. Der Panther liegt
beim Böcklein. Kalb und Löwe
weiden zusammen … Der Löwe
frisst Stroh, wie das Rind.
Der Säugling spielt vor
dem Schlupfloch der Natter.
Man tut nichts Böses mehr.
Man begeht kein Verbrechen
mehr… Denn das Land ist erfüllt
von der Erkenntnis des Herrn.“