Es ist eine berührende
und zugleich überraschende
Szene, die dem Mahl Jesu
mit seinen Jüngern vorausgeht.
In die Atmosphäre des Augenblicks
muss man sich erst einmal hineinversetzt
haben, um wirklich zu begreifen,
um was es dabei geht.
In der Fußwaschung drückt
sich all das aus, was Jesus schon
immer den Menschen bedeuten
wollte, wozu er Mensch geworden
ist und wie er Menschsein
und Leben begreift und uns
Menschen zu verstehen
geben will.
Doch zurück zu diesem
besagten Augenblick.
Jesus steht vom Mahl auf.
Er legt sein Gewand ab.
Legt sich eine Schürze um.
Gießt Wasser in eine Schüssel.
Wäscht er seinen Jüngern die Füße.
Und trocknet sie schließlich ab.
Sein Handeln provoziert.
Es erzeugt Widerspruch.
Die Jünger können nicht
verstehen, was Jesus damit
zum Ausdruck bringen will.
Müsste es nicht gerade
andersherum sein: Dass der
Meister die Füße von seinen
Jüngern gewaschen bekommt?
Wer so denkt hat das Ansinnen
Jesu, sein Auftrag und den Grund
seines Kommens in die Welt, hin
zu den Menschen, nicht verstanden.
Jesus wollte sich nie bedienen
lassen. Jesus wollte den Menschen
dienen. Nicht groß und gewaltig
wollte er sich Menschen gegenüber
gebärden, sondern als niedrig
und klein, ganz und gar als
einer von ihnen. Nicht höher
stehend als sie. Vielmehr auf
gleicher Augenhöhe mit ihnen.
Durch sein Tun überschreitet
Jesus die Augenhöhe zum Menschen
zu dessen Gunsten. Jesus kniet sich
vor seine Jünger nieder und gibt ihnen
zu verstehen: So will ich euch nah
sein. Als einer, der Euch und Eurem
Leben dienen will.
Es fällt den Jüngern schwer,
dies zu verstehen und Jesus als
einen Gott zu begreifen, der sich
vor ihnen klein macht, der in die
Knie geht. Wer immer sich Gott
so vorstellen will, muss die
in ihm bestehenden Bilder
und Vorbehalte gänzlich
löschen.
Der christliche Gott findet
in Jesus zur konkreten Person und
zeigt, dass er ganz und gar
auf der Seite des Menschen
steht und ihm zu dienen
bereit ist, um einer größeren
Fülle des Lebens willen.
Damit aber zeichnet sich
der Weg eines jeden Christen
ab. Die Haltung Jesu, sein
Dasein für die Menschen,
will auch in uns die Haltung
des Füreinanderdaseins
wachrufen und entstehen
lassen.
Jesus scheint sich nicht sicher
zu sein, ob seine Jünger in dem
Augenblick, wo er ihnen die Füße
wäscht, sein Ansinnen begreifen.
So fragt er nach:
Begreift ihr, was ich an
Euch getan habe? Ihr sagt zu mir
Meister und Herr und ihr nennt
mich mit Recht so; denn ich bin es.
Wenn nun ich, der Herr und Meister,
euch die Füße gewaschen habe,
dann müsst auch ihr einander
die Füße waschen.
Mit anderen Worten:
Wenn ich in einer solch vorbehaltlosen
Weise für euch da bin, dann müsst
auch ihr füreinander da sein.
Mein Handeln an euch,
soll euch Beispiel für euer
Leben und Miteinander sein.
Füreinander da sein.
Das bedeutet, dass uns andere
Menschen nicht gleichgültig sind,
dass uns ihr Zustand nicht kalt
lässt, sondern zutiefst anrührt.
Füreinander da sein.
Das bedeutet, dass einer schweigend
bei mir sein kann, wenn ich selber
verzweifelt und verwirrt bin; einer,
der bei mir bleibt, wenn ich in Gram
und Kummer versinke; einer der
mit mir die Erfahrung aushält,
nicht weiterzuwissen, nicht abhelfen,
nicht heilen zu können; einer, der mit
mir der Tatsache ins Auge sieht,
dass ich völlig hilflos bin.
Ein Mensch, der redlichen Herzens
für mich da ist, schenkt mir die Erfahrung,
dass bei allem, was in der Welt der äußeren
Dinge passiert, letztlich nur der Umstand
zählt, dass man füreinander da ist.
Das zählt sehr oft mehr als
der Schmerz, die Krankheit und sogar
der Tod.
Jesus ist ein solcher Mensch.
Jesus ist ein solcher Freund.
Er ist da. Er bleibt da.
Seine Gegenwart lässt mich
heilende Nähe empfinden.
Sie macht mir Mut, mein eigenes
Leben ernst zu nehmen und
darauf zu vertrauen, dass ich
von ihm gemeint, gerufen
und gehalten bin.
Das stellt mich vor die dringliche Frage:
Woher kommt es, dass Menschen
diese großartige Begabung zum
Da-Sein füreinander oftmals
so tief versteckt halten?
Henry Nouwen fragt konkreter:
Woher kommt es, dass wir
unsere Groschen verteilen und uns
dabei scheuen, dem Bettler ins Gesicht zu sehen?
Woher kommt es, dass wir uns nicht
zu dem einsamen Esser im Speisesaal setzen,
sondern uns lieber nach unseren guten
Bekannten umsehen?
Woher kommt es, dass wir so selten
an die Tür klopfen oder nach dem
Telefon greifen, nur um einmal kurz
„Guten Tag“ zu sagen und einander
zu zeigen, dass wir aneinander denken?
Warum kommen uns trostvolle Worte
so schwer über die Lippen?
Warum ist es so schwierig, einem Lehrer
ein paar Worte des Dankes zu sagen,
einem Studenten ein paar Worte der
Anerkennung, den Männern und Frauen,
die sich um Küche, Hausputz und Garten
kümmern, ein paar Worte der Wertschätzung?
Warum laufen wir ständig aneinander
vorbei, ständig unterwegs zu irgendetwas
oder irgendjemanden ganz wichtigem?
Auf diese vielen Fragen gibt er
diese Antwort:
Vielleicht einfach deshalb,
weil wir selbst so darauf versessen
sind, anders als die anderen zu sein.
Und darum gestatten wir uns nicht,
unsere schwere Rüstung abzulegen
und uns einander mit all unserer
Verwundbarkeit zu begegnen.
Die Welt um uns herum rüstet auf.
Jesus legt in der Nacht,
in der er verraten wird, ganz bewusst
die Rüstung ab.
Er bindet sich eine Schürze aus Leinen um.
Er macht sich auch dabei verwundbar,
wie so oft in der Begegnung mit
Menschen.
Wenn wir ehrlich anerkennen und
eingestehen, dass wir als Menschen alle
gleich sind, erlangen wir Anteil an
jener Haltung des Da-Seins und Mit-Seins,
die Gott uns gegenüber an den Tag gelegt
hat.
Jesu Dasein und Mitsein
reichen jedoch noch weiter.
In letzter Konsequenz führt
ihn diese Haltung ans Kreuz.
Am Holz des Kreuzes lässt er
sich selber brechen,
wie die Scheibe Brot, die wir
in der Feier der Eucharistie
brechen.
Das gebrochene Brot
und der eingegossene Wein,
wollen uns Zeichen sein
für seine vorbehaltlose
Hingabe an uns Menschen.
Für sein Sterben, seinen Tod
und unsere Erlösung.
Zugleich aber auch die Einladung an
jeden von uns, sich in manchen Haltungen
und in manchen Ansichten und Meinungen
infrage stellen zu lassen,
sich selber brechen zu lassen,
damit auch wir füreinander
da sein können.