1. Advent
Advent.
Alle Jahre wieder.
Diese Zeit,
in der ermahnende Worte
unser Ohr erreichen.
Worte, die uns treffen wollen,
einladen wollen, unser
Leben zu bedenken,
die Welt in den Blick
zu nehmen und zu ändern,
was verändert werden
muss, damit Mensch und
Welt ihrer eigentlichen
Bestimmung wieder
folgen können,
ohne sich dabei selber
länger noch im Weg
zu stehen.
Das setzt voraus,
dass Menschen eine Ahnung
von dem haben, was Ziel ihrer
Bemühungen sein soll;
wohin die Reise gehen soll;
was ureigenes Anliegen
Gottes mit ihnen und
der Welt ist.
Kurz gesagt:
Es geht um das Ziel
des Lebens.
Haben wir diese Ahnung?
Wissen wir wohin es gehen soll?
Kennen wir das Ziel?
Von Franz Kafka
stammt folgende Erzählung:
„Ich befahl mein Pferd
aus dem Stall zu holen.
Der Diener verstand mich nicht.
Ich ging selbst in den Stall,
sattelte mein Pferd und bestieg es.
In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen,
ich fragte ihn, was das bedeute.
Er wusste nichts und hatte nichts gehört.
Beim Tore hielt er mich auf
und fragte: "Wohin reitest du, Herr?"
"Ich weiß es nicht," sagte ich,
"nur weg von hier.
Immerfort weg von hier,
nur so kann ich mein Ziel erreichen."
"Du kennst also dein Ziel?" fragte er.
"Ja," antwortete ich, "ich sagte es doch:
»Weg-von-hier«, das ist mein Ziel."
"Du hast keinen Essvorrat mit," sagte er.
"Ich brauche keinen," sagte ich,
"die Reise ist so lang,
dass ich verhungern muss,
wenn ich auf dem Weg nichts bekomme.
Kein Essvorrat kann mich retten.
Es ist ja zum Glück eine
wahrhaft ungeheure Reise."
Nur weg von hier,
das ist zu wenig.
Nur weg von dem Wust
des Lebens, alldem, was Leben
zerstört, vernichtet, kleinmacht,
seiner Würde beraubt, den
Respekt voreinander
nimmt, das reicht nicht aus.
Menschen können nicht
einfach den Kopf in den Sand
stecken, vor den Kriegen
in dieser Welt, vor Fremdenhass
und Korruption, vor einer schleichenden
Verrohung der politischen Kultur
und globaler Ungerechtigkeit,
vor menschengemachter Armut und
menschengemachten Klimawandels.
Menschen dürfen den Kopf
nicht in den Sand stecken.
Und Christen schon gar nicht.
In seiner Laudatio
anlässlich der Bambiverleihung
an Papst Franziskus sagt
der frühere Bundespräsident
Horst Köhler:
„Wir dürfen nicht aus
dem Blick verlieren, worum es
geht – nämlich um die Frage,
mit welchen Mitteln wir den Konsens,
dass die Würde des Menschen
unantastbar ist, umsetzen können.
Es darf nicht darum gehen,
diesen Konsens selbst
infrage zu stellen.
Die Würde des Menschen
ist unantastbar …
Ob es uns passt oder nicht:
Die Menschheit sitzt in einem
Boot. Wir werden unseren
Wohlstand und unserer
Sicherheit auf Dauer
nur dann bewahren können,
wenn alle Menschen auf dieser
Erde in Würde leben können,
und das innerhalb der ökologischen
Grenzen des Planeten …
Das alles ist keine Träumerei,
sondern echte Realpolitik in diesem
vernetzten 21. Jahrhundert.
Lassen wir uns jedenfalls von
niemanden einreden, dass die
Welt nun mal so ist, wie sie ist,
und die einzige Lösung darin
besteht, uns einzumauern.“
Die Worte Horst Köhlers
haben mich sehr berührt.
Sie haben mich zutiefst
angesprochen, weil sie
einen Nerv getroffen haben,
den Nerv dieser Zeit,
dieser Welt, des Menschen.
Diese Welt braucht eine aufbauende,
eine motivierende Perspektive;
eine Aussicht, die mitreißt,
sie herausreißt aus alten Gewohnheiten
und auf einen neuen Weg stellt,
der so ganz anderes ist,
als die vielen dunklen Erfahrungen,
die Menschen auf dem bisherigen Weg
machen mussten.
Und: Diese Welt muss sich
entscheiden. Jeder einzelne
Mensch hat sich zu entscheiden.
Will er sich weiterhin provozieren
und Angst machen lassen von denen,
die das Gute verachten, es mit Füssen
treten und einst unter großen
Herausforderungen erreichte
Werte infrage stellen?
Will er sich kapern lassen
für einen neuen Krieg der Religionen?
Will er sich der Umklammerung
jener hingeben, die mit
Geld und Politik schmutzige
Geschäfte machen?
Oder lässt er sich
herausrufen und befreien
zu einem neuen Tun?
Lässt er sich dazu einladen,
dem Leben und all dem,
was es ausmacht,
einen neuen Sinn
zu geben?
Auch wenn es weh
tun wird, Umkehr schmerzt
immer, ich bin davon überzeugt,
dass es möglich ist,
der Welt ein anderes
Angesicht geben
zu können, weil vieles
nicht in Gottes Hand liegt,
sondern von der Einstellung,
der Haltung des Menschen abhängt
und von ihm geleistet
werden muss.
Advent.
Alle Jahre wieder.
Diese Zeit,
in der ermahnende Worte
unser Ohr erreichen.
Worte, die uns treffen wollen,
einladen wollen, unser
Leben zu bedenken,
die Welt in den Blick
zu nehmen und zu ändern,
was verändert werden
muss, damit Mensch und
Welt ihrer eigentlichen
Bestimmung wieder
folgen können,
ohne sich dabei selber
länger noch im Weg zu stehen.
Das setzt voraus,
dass Menschen eine Ahnung
von dem haben, was Ziel ihrer
Bemühungen sein soll;
wohin die Reise gehen soll;
was ureigenes Anliegen
Gottes mit ihnen und
der Welt ist.
Die Lesungen dieses
Tages geben die Richtung
an. Sie weisen zunächst auf das
Ziel hin und schlagen sodann
konkrete Schritte, die dahin
führen, vor.
Jesaja entwirft die Vision
eines Berges, der sich über
allem erhebt. Es ist der Berg,
auf dem Gott wohnt. Von hier
her kommen die entscheidenden
Impulse, die aus Schwertern
Pflugscharen entstehen lassen;
die aus Feinden, Brüder und
Schwestern machen.
Gott selber weißt
den Menschen
den Weg.
Und der
Mensch ist eingeladen,
der Spur zu folgen, die Gott
in seinem Sohn auf dieser
Welt hinlassen hat.
Ziel dieses Weges
soll es sein, Gott in der Mitte
der Menschen sein zu lassen,
keine Tränen mehr weinen;
keinen Grund mehr
zur Klage haben zu müssen;
den Tod, alles, was Leben
vernichtet, ein für alle Mal
hinter sich zu lassen.
Es geht schließlich darum, wie es
Paulus an die Römer schreibt,
sich endlich zu erheben,
„ein neues Gewand anzulegen“
und zwar Christus und Werke
des Lichts, seine Werke,
zu vollbringen,
die den Dunkelheiten
dieser Welt ein Ende
setzen.
Advent.
Er ist die Einladung,
einen Weg zu einer
gerechteren Welt
zu finden.
Ich habe keinen Zweifel:
Wenn wir das ohne Angst
tun, mit Gelassenheit,
Fröhlichkeit, Entschiedenheit
und ruhig auch
einer Prise „heiligen Zorns“,
dann werden wir dies
auch schaffen und
Gott darf ankommen,
in unserer Welt
und wir bei
ihm.
Das ist dann wie
Weihnachten. Mehr sogar.
Das ist dann wie Weihnachten,
Ostern und Pfingsten
in einem, weil Gott
dann alles in allem
sein wird und wir
bleibend aufgehoben
in ihm.