Worauf laufen Jesu
Worte hinaus? Was ist
Jesu Ansinnen und Absicht?
Wozu will er Menschen
bewegen?
Die Antwort liegt auf
der Hand. Sie sticht geradezu
ins Auge und will das Herz
des Menschen erreichen:
Dass Menschen
zueinander gut sind.
Dass sie einander annehmen
und respektieren.
Dass sie Verzeihung schenken,
sich wertschätzend und
wohlwollend begegnen.
Dass sie immer mehr das Einende
in den Blick nehmen, statt das,
was sie vom anderen Menschen
trennt.
Dass Menschen einander zutrauen,
dass in jedem ein guter Kern
zu finden ist, der nicht die
Zerstörung will, sondern das
Wohl all dessen, was ist und lebt.
Schließlich, dass in allem,
was der Mensch an Guten
tut, Gott selber Lob und
Ehre erfährt, denn kein Tun
in Liebe und in der Absicht,
das Gute zu tun, ist losgelöst
von Gottes Absicht, zu begreifen,
dass ein Mensch Leben
und Frieden haben soll.
Jesu Worte und die mit
ihnen ausgedrückten Absichten,
sind nicht nur zentral, sie sind
auch radikal, so radikal,
dass es einem den Atem
verschlagen kann.
Ja sie gehen über alles
menschliche Maß hinaus,
übersteigen weit das,
wozu ein Mensch überhaupt
in der Lage zu sein scheint.
Um der Überforderung
des Menschen und den mit
Jesu Worten verbundenen Schwierigkeiten
in ihrer konkreten Umsetzung
zu entgehen, entwarfen
bereits die Kirchenväter eine
Zweistufenethik.
Nach Ambrosius gilt:
Böses nicht mit Bösen zu
vergelten, ist Pflicht.
Bösen mit Guten zu vergelten,
ist vollkommen.
Nach Augustinus ist es die
höchste Form des Almosens,
wenn wir denen verzeihen,
die um Vergebung bitten.
Der Mann ist realistisch genug,
um zu wissen, dass diese Tugend
der großen Menge abgeht.
Jeder Gläubige aber soll
danach streben und
darum bitten.
Thomas von Aquin meint,
dass es nötig sei, sein Herz
für die Liebe zu bereiten,
um im konkreten Fall,
wenn dies notwendig wird,
seinen Feind zu lieben.
Nicht nur Staaten haben
es schwer, Jesu Forderungen
in die Tat umzusetzen und
der Bergpredigt ein Gesicht
zu geben. Auch die Kirche
tut sich mit der Verwirklichung
der Liebe schwer und scheitern
bis heute an ihr immer wieder.
Wie hat sich die Christenheit
verhalten in Juden und Ketzerverfolgungen,
in Kreuzzügen und Glaubenskriegen?
Wie ist die Kirche mit ihren Gegnern umgegangen
in der Polemik und Kontroverse, die sehr
oft alles andere als objektiv und fair
waren? Auch viele Kriegspredigten
machen einen makabren Eindruck.
Wie ist ihr Umgang mit Randgruppen
der Gesellschaft und des sozialen
Lebens und auch mit Menschen
in ihren eigenen Reihen?
Ideal und Realität liegen aber auch
beim einzelnen Menschen oftmals
sehr weit auseinander.
Fragen stellen sich nicht
nur im Hinblick auf Krieg und Frieden.
Sie stellen sich auch in Bezug auf
den unfreundlichen Nachbarn,
den Konkurrenten im Beruf,
in der Wirtschaft, in der Politik,
den anderen Christen in der Kirchenbank,
ein paar Reihen vor mir
oder hinter mir.
Der Schriftsteller Herman Coenen
richtet sein Wort in solche Momente
hinein, in denen der Mensch
dem Anspruch des Evangeliums
nicht mehr nachkommen kann:
„Keiner hier ist so wie er sollte,
so, wie er wollte, so, wie er könnte.
Keiner hier ist so, wie er sollte.
Wir haben alle versagt.
Wenn das Hauptgebot Liebe
heißt zueinander und zu Dir,
mein Gott, dann ist das vor allem die Schuld,
wenn die Liebe fehlt …
Keiner hier ist so, wie er sollte …
Wenn das Ziel eine Erde ist,
wo Menschen alle Brüder und Schwestern
sind, dann ist das unsere wichtigste Pflicht,
dass die Liebe wächst.
Keiner hier ist so, wie er sollte …
Wenn uns Jesus so sehr imponiert,
weil Er nicht nur an sich selber denkt,
dann ist Er der Maßstab für uns,
denn ist Er der Weg.
„Keiner hier ist so wie er sollte,
so, wie er wollte, so, wie er könnte.
Keiner hier ist so, wie er sollte.
Wir haben alle versagt.
Ich frage mich, ob Jesu Absichten
tatsächlich anwendbar sind und
brauchbar? Sind sie nicht utopisch?
Wie soll eine Mutter den
Mörder ihres Kindes lieben?
Kann sie ihm verzeihen?
Wohin kämen wir, wenn wir
dem Bösen keinen Widerstand
entgegensetzten, wenn wir
verziehen, statt Gerechtigkeit
einzufordern?
Würde dadurch nicht derjenige,
der Unrecht getan hat, belohnt?
Hierzu gibt es aber auch
die Gegenfrage: Wohin kämen wir,
wenn es kein Verzeihen und
keine Vergebung gäbe und wenn
wir jedes uns angetane Unrecht durch
neues Unrecht vergelten würden –
Auge um Auge, Zahn um Zahn?
So sehr Barmherzigkeit und
Vergebung und Verzeihen nahezu
übermenschliche Akte sind,
sie sind doch auch höchst vernünftige
Akte.
Nur wenn Menschen
sich über alte Gräben hinweg neu
die Hände reichen, um Vergebung
bitten und Vergebung gewähren,
können blutige und traumatische
Konflikte bearbeitet werden,
Heilungsprozesse geschehen
und die Spirale von Gewalt
und Gegengewalt, so wie der
Teufelskreis von Schuld und Rache
durchbrochen werden.
Denken Sie an die
jüdisch- christliche,
deutsch-israelische,
deutsch-französische oder
die deutsch-polnische Aussöhnung
nach dem zweiten Weltkrieg.
Als Schüler kam ich
in einen deutsch-französischen
Kinderaustausch. Zwei Wochen
sollte ich in Amiens bei einer
Familie Ferien machen und
dabei meine Französischkenntnisse
verbessern, sowie Land und
Leute kennenlernen.
Der Großvater meines
Austauschfreundes, war im
Zweiten Weltkrieg in einem
deutschen Arbeitslager
gefangenen gewesen und hatte
unter den Deutschen sehr
zu leiden. Krank kam er
nach Hause. Er erholt sich
nie wirklich von dieser Krankheit.
Bevor ich als Austauschschüler
vermittelt werden konnte,
bedurfte es der Zustimmung
des Großvaters. Schließlich
sollten wir uns jeden Tag
der Ferien bei den Großeltern
zum Mittagessen einfinden.
Wir saßen dann auch jeden
Tag zusammen an einem Tisch.
Der Großvater meines Freundes
meinte: „Der Krieg ist zu Ende.
Es geht jetzt darum wieder
zusammenzufinden, das sind
wir unseren Kindern und Enkeln
schuldig.“
Seine Frau lernte eifrig mit mir
die fremde Sprache.
Zusammen spielten wir
am Abend Scrabble.
Er teilte mit mir die Früchte
seines Gartens beim Mittagessen.
In seiner "Ente" fuhren wir mit ihm
ans Meer, kauften Crevetten
und aßen diese aus der Tüte
im engen Auto, weil es draußen
nur so schüttete.
Mein Studium sollte mich
viele Jahre später wieder nach Frankreich
führen. Seit mehr als 30 Jahren verbindet
mich eine tiefe Freundschaft
mit diesem Land und
ihren Menschen.
Papst Franziskus schreibt
in Amoris Laetitia:
„Die Liebe besteht aus Tausenden
von realen und konkreten Gesten.
In dieser Mannigfaltigkeit von Gaben
und Begegnungen, die das innige
Miteinander reifen lassen,
hat Gott seine Wohnung.“