Soll es tatsächlich
sein, dass am Ende
unseres Lebens
ausschließlich die Frage
nach der Liebe gestellt
werden wird und die Antwort
auf sie die alles
entscheidende ist?
Ja. Gott stellt
die Frage nach der Liebe:
„Sag, hast du jemals
wirklich geliebt?“
Das bedeutet mehr als:
ob du gehangen hast an …
ob du gern gespielt hast mit …
ob du verliebt warst in …
ob du dir Sorgen machtest um …
ob du süchtig warst nach …
ob du geschlafen hast mit …
ob du abhängig warst von …
Nein, die Frage geht
tiefer: Hast du jemals
wirklich geliebt?
Wenigstens ein einziges
Mal?
Wenn es je so etwas geben
sollte, wie ein Weltgericht,
es wäre durchaus möglich,
dass dies die entscheidende,
die einzige Frage ist, die uns
Menschen gestellt wird.
Die Frage nach der Liebe.
Das Leben Jesu zeigt uns,
dass es ihm vor allem auf
die Liebe ankommt,
darauf ob ein Mensch
fähig ist, Gott zu lieben,
den anderen und
am Ende auch
sich selber.
Jesus hat sich in Liebe
den Kranken, den Schwachen
und Vernachlässigten zugewendet.
Er hat dem, was nach den
Maßstäben der Gesellschaft
als schwach, krank, niedrig,
verachtet auszusondern war,
eine Chance des Menschseins
geboten.
Er hat ihnen an Seele
und Leib geholfen,
hat manchen physisch und
psychisch Kranken Gesundheit,
den vielen Schwachen Kraft
und allen Untüchtigen Hoffnung
geschenkt.
Jesus war ganz für den
Menschen da. Er war für alle
Menschen da: nicht nur
für die Starken, die Jungen
und die Gesunden, auch für
die Schwachen und
die Altgewordenen,
die Kranken und
die Krüppel.
Daher wird am Ende unseres
Leben die Frage nicht heißen:
Was ein Mensch gespart
und alles besessen;
was er gewusst und
Gescheites gelernt;
was er beherrscht und sich
unterworfen;
was er bereist und sich
geleistet;
was er gegessen und Gutes
getrunken;
was er gesagt
und versprochen;
was er erreicht und
ob er Großes gegolten
hat.
Nein. Seine Frage wird
die Frage nach der Liebe sein:
Was hast du geschenkt,
wen hast du geschätzt,
was hast du bedacht,
wem hast du genützt,
wem hast du gedient,
wen hast du umarmt,
was hast du gewagt,
wen hast du befreit,
was hast du geteilt,
wen hast du genährt,
was hast du getan,
wen hast du geliebt,
hast du mich erkannt?
Am Ende wird
die Frage nach der
Liebe gestellt.
Es gib keinen anderen
Maßstab.
Ob du katholisch warst.
Ob du gebetet und regelmäßig den
Gottesdienst besucht hast.
Ob du deine Kirchensteuer
gezahlt hast.
Ob du als wiederverheirateter
geschiedener Mensch zur Kommunion
gegangen bist.
Ob du am Abendmahl oder
der Feier der Eucharistie
teilgenommen hast …
Wie lange brauchen wir
eigentlich noch, bis wir endlich
anfangen zu begreifen, was
unseren Gott wirklich interessiert
und woran ihm tatsächlich
gelegen ist?
Nichts von all dem wird
ihn interessieren. Er stellt
uns die Frage nach der
Liebe. Und die hat es
wahrlich in sich.
Sie betrifft das Ganze,
vor allem aber unseren
Umgang miteinander.
Alex Hacke stellt
in seinem Buch: „Über den
Anstand in schwierigen Zeiten
und die Frage wie wir miteinander
umgehen“ diese Frage:
„Fehlt uns nicht sowohl im
täglichen Lebensgewurschtel
als auch in der politischen
Situation, in der wir uns befinden …
etwas von einem gewissen Pathos,
von einer klar formulierten Vision
dessen, was und wie wir als
Einzelne im Leben mit anderen
sein wollen? Fehlt uns das
nicht schon lange?
Wir haben in vieler Hinsicht
das Gefühl dafür verloren,
was es bedeutet, eine Gesellschaft
zu sein, zusammenzugehören,
sich auseinanderzusetzen,
wir haben so oft kein Ideal
mehr davon, was es
bedeutet ein Bürger
zu sein, wir sind getrieben
von der technischen Entwicklung,
von einer Nötigung zu ständiger
Selbstdarstellung,
von diffusen Ängsten, die
wir uns einerseits nicht
eingestehen oder andererseits
total übertreiben, wir sind
hysterisch, wo wir nüchtern
sein müssten, und unaufmerksam,
wo wir wachsam sein sollten.“
Bin ich bereit, den Nächsten
in meinen Blick zu nehmen?
Bin ich bereit, auf seine Not
zu schauen und Hilfe dort
zu geben, wo sie gebraucht
wird?
Welche Sorte Mensch möchte
ich sein: Jemand der hinschaut
und sich einmischt, oder
jemand, der die Augen
vor den Herausforderungen
seines Alltags verschließt?
Hinsehen oder Wegschauen.
Es geht um eine Grundhaltung.
Das Evangelium sagt:
Wegschauen geht nicht!
Wo sind die Durstigen,
die Fremden und die
Obdachlosen? Wo halten
sich die Nackten und die
Gefangenen unserer Tage
auf?
Ob es um die Nachbarin geht,
die am Monatsende nicht mehr
weiß, wie sie ihren Kindern ein
warmes Essen auf den Tisch bringen
soll.
Ob es um Menschen auf der Flucht
vor Krieg, Terror und Gewalt geht
oder um die Tausenden und
Abertausenden, die in den
verarmten Ländern zu unmenschlichen
Bedingungen Kleidung nähen
oder Rohstoffe fördern.
Sie alle sind es, von denen
das Evangelium sagt: Du hättest es
wissen können, wenn du hingeschaut
hättest.
Die bleibende Herausforderung
für uns als Christen, und ich sage
bewusst, für uns als Christen,
denn zur Liebe ist jeder Mensch,
ob er nun an Gott glaubt
oder nicht, fähig, wird immer
darin bestehen bleiben,
im anderen Christus selber
zu erkennen und ihn
in unserem Gegenüber
zu lieben und ihm
zu dienen.
Zugleich aber auch
von jedem Menschen unendlich
groß zu denken, weil auch er
ein von Gott geliebter Mensch
ist.
Das ist nicht immer
einfach. Weiß Gott nicht.
Doch es ist der einzige
Weg, auf dem wir unserem
Gott und unserer
Erlösung näherkommen.
Tag für Tag ein Stückchen mehr
und am Ende für immer.
Bitten wir Gott um die
Gnade, seine Liebe zu spüren
und um die Kraft, in Liebe den Schwestern
und Brüdern zur Seite zu stehen,
die Gott uns auf den Weg
gestellt hat, damit wir
am Ende unseres Lebens
die Frage nach
der Liebe ganz eindeutig
mit einem beherzten
Ja beantworten können
und damit unserer endgültigen Erlösung
nichts mehr im
Wege stehen
muss.