Es ist wahrlich
kein Bilderbuchleben,
das die kleine Thérèse lebte.
Auch Verklärungen und
bildliche Darstellungen ihrer Person
können darüber nicht
hinwegtäuschen:
Mit vier Jahren verliert
sie ihre Mutter.
Mit 21 Jahren stirbt ihr
Vater.
Zwei Jahre später nur,
1897, erkrankt sie
an Tuberkulose.
Noch im selben Jahr
verstirbt sie.
Thérèse hat in ihrem
Leben viele dunkle Stunden
kennengelernt.
Wer an der äußeren Fassade
ihrer Heiligkeit kratzt, der entdeckt
eine junge Frau, deren Seelenleben
großen Schwankungen unterlag.
Die Geschichte ihrer Seele ist
voll Sehnsucht nach Geborgenheit
und Liebe und ebenso voll
von Ängsten und Zerrissenheit.
Die Frau, die Papst Johannes Paul II.
zur Kirchenlehrerin erhob, hebt sich
nicht ab von den vielen kranken
und verletzten Seelen unserer Zeit.
Das macht sie für uns heute
so interessant und nicht,
weil sie etwa eine große,
außergewöhnliche
Heilige wäre.
Es ist spannend zu erfahren, wie ihr
geistlicher Weg trotz der gestörten
seelischen Entwicklung nicht in
einer Sackgasse endet.
Selbst in ihrem Leiden
und den Stunden der Dunkelheit
erlischt das Licht ihres Glaubens
und Vertrauens niemals ganz.
Fast kindhaft bewahrt sie
sich ihre Liebe zu Gott und das
unverrückbare Vertrauen in ihn.
Wie ihr dies gelungen ist?
Auf den ersten Blick hin betrachtet
wirkt ihr Leben belanglos. Wer in ihrem
Leben nach etwas Besonderem sucht,
der findet nichts Überdurchschnittliches.
Da ist nichts Ausgefallenes oder
Exklusives.
Sie geht einen Weg,
den jeder Mensch gehen kann.
Den kleinen Weg.
Und sie besinnt sich auf das,
was Gott ihrem kleinen Leben
an Möglichkeiten gegeben
hat und wie er, Gott,
in ihrem Leben seine
Spuren hinterlässt und
unaufhaltsam an diesem Leben
mitwirkt.
Gott mit aller Kraft lieben
zu wollen und ihn doch nie
in den Griff zu bekommen;
Gott mit aller Ausdauer suchen
zu wollen und ihn doch nie
ganz erfahren zu können;
Gott sehen und beweisen
zu wollen und doch nur seinen
Ruf zu hören …
in dieser Spannung
hat Thérèse immer gelebt.
Am Ende verblieb
ihr nichts anderes als
das Vertrauen in Gott
und dass er ihr entgegenkomme
und an ihr wirke.
Thérèse setzt ganz
auf Vertrauen
und nicht
auf Sicherheit und
Machbarkeit.
Ihr „kleiner Weg“
ist ein Weg, der mit der
Liebe Gottes rechnet
und den Menschen einlädt, im
Nächsten Gott zu lieben.
Am besten eignet
sich für Thérèse dafür
ihr eigener Klosteralltag
mit seinen Höhen und Tiefen
und Herausforderungen
und den Begegnungen
mit ihren Mitschwestern.
Thérèse wehrt sich gegen
alles Besondere:
gegen Erleuchtungen
und Visionen,
genauso wie gegen
heroische Tugenden.
Hinter ihren Werken steht
nicht ihr Verdienst oder ihr
Können, sondern allein das
Vertrauen, dass Gott
barmherzig ist.
Alles,
aber auch wirklich alles,
von Gott zu erwarten, das
macht die Haltung der kleinen
Thérèse aus. Und sie will
nichts anderes können,
als was eben Kinder, alle
Kinder können:
vertrauen.
Im unbedingten Vertrauen
auf den Gott des Lebens
liegt das Geheimnis ihres
„kleinen Weges“.
Gerade aber dieser „kleine Weg“
führt sie in die Gottesfinsternis.
Ganz plötzlich richtet sich
eine Mauer zwischen ihr
und Gott auf.
Sie erfährt
die Nichterfahrbarkeit
Gottes.
Doch je dunkler die Nacht,
je größer das Anhandenkommen
Gottes für sie wird und
je unüberwindbarer die Mauer,
desto stärker wird das Vertrauen,
mit dem sie sich am Evangelium
festmacht.
Aus ihrer Beziehung zu
Jesus Christus und seiner Liebe
zu ihr findet sie Halt.
„Ich habe oft bemerkt, dass Jesus
mir keine Vorräte geben will;
er nährt mich jeden Augenblick
mit einer ganz neuen Nahrung;
ich finde sie in mir vor,
ohne zu wissen wie …“,
sagt sie.
Die Nahrung
für den jeweiligen
Augenblick ist für Thérèse die Liebe.
Die Liebe zu Jesus Christus
wird für sie zu einer
erstaunlichen Kraft.
All das, was sie tut,
tut sie in Liebe zu ihm
und den Menschen und
immer wieder ergriffen
von Vertrauen.
Und so formuliert es
der Psalm:
„Vertrau auf den Herrn
und tu das Gute,
bleib wohnen im Land
und bewahre Treue!
Freu dich innig am Herrn!
Dann gibt er dir, was dein Herz begehrt.
Befiehl dem Herrn deinen Weg und vertrau ihm;
er wird es fügen.“ (Ps 37)
Sich vorbehaltlos der Güte
Gottes anzuvertrauen
und allzeit hoffend und
ihn und den Menschen liebend
auf seinem Weg voranzugehen,
und dies mit den Möglichkeiten,
die ihr hierfür zur Verfügung
stehen. Eingedenk auch
ihrer ganz eigenen
Grenzen …
dies ist das Geheimnis
des Lebens der kleinen Thérèse.
Das macht ihren spirituellen
Weg aus.
Eine solche Haltung
kann entlastend wirken,
auch für uns selber:
Keiner muss einem hektischen
Machen verfallen, als wenn ihm
keine Zeit mehr verbliebe und keiner
muss sich der Angst überlassen.
Unser Können, Tun und Wissen allein
bringen niemals zusammen, was
wir wirklich zum Leben brauchen.
Es ist einzig und allein das
Vertrauen, dass sich Gott an jedem
von uns als barmherzig erweisen wird,
welches uns durch das Leben
tragen kann und uns mit
Gott verbindet.
Alles käme darauf an,
diesem Vertrauen in unserem Herzen
einen weiten Raum zu belassen
und einzurichten.
Der Boden auf dem unsere
Füße festen Halt finden,
ist der Boden des Vertrauens
in unseren Gott.
Für Thérèse
ist das Vertrauen
niemals erloschen.
Sie lädt uns ein,
als vertrauende Menschen
unseren ganz eigenen Weg
zu gehen und der Liebe Gottes
zu trauen, und dies immer
mehr dort, wo die Hoffnung
in uns, unter uns Menschen,
und in dieser Welt zu
schwinden
droht.
„Mein Gott, ich liebe dich!“
Das sollen Thérèses letzte
Worte auf ihrem Sterbebett
gewesen sein.
Bitten wir Gott um die
Gnade, dass unser Vertrauen
in ihn immer fester werde
und die Liebe zu ihm
und zueinander immer
größer.
Und schlussendlich
von ihm alles zu erwarten,
weil alles aus Gnade
geschieht und Gott
an unserem Leben
liegt.