Sie kennen sicherlich die Zeilen
eines Gedichtes von Marie Luise Kaschnitz,
die ich gerne diesem Gruß zu Ostern
vorweg stellen möchte:
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Manchmal stehen wir auf …
Wer die Bilder von unzähligen Flüchtlingen
an den Grenzen der Länder zu sehen bekommt,
den muss der Anblick schier zur Verzweiflung
bringen: Menschen mit dem Allernötigsten
in ihren Händen oder auf einen kleinen Wagen
gepackt, den Kindern auf den Armen, nackt an den
Füßen und den Kleidern durchnässt, erheben
sich Tag für Tag aus dem Schlamm,
um sich erneut auf den Weg zu machen,
dorthin, wo sie ein besseres
Leben für sich und ihre Familien erhoffen.
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut …
Auf ihrem Weg, so enttäuschend,
verletzend und demütigend er für
viele von ihnen auch sein mag, gibt es
immer wieder auch Erfahrungen
von Auferstehung:
Menschen, die einander
unterstützen, die sich einander annehmen
und des Weges begleiten.
Helfer, die ihnen ihre Hände entgegenstrecken
und sie nicht nur mit Worten versorgen
und abspeisen.
Ja auch inmitten dieser Situationen
kann sich Gott ereignen, kann
Auferstehung geschehen.
Gerade dort will sie sich ereignen.
Zumeist unmerklich für viele, weil ihnen
der Blick dafür abhandengekommen
ist und die Strapazen des Weges
der Seele eine dicke Hornhaut
haben wachsen lassen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus …
Das Leben geht unaufhaltsam weiter.
Die Wege der Menschen setzen sich beständig
fort. Niemand kann sich der Entwicklung
entgegenstellen, den Aufgaben, die daraus
erwachsen und die uns fordern und uns alle
in unserer Mitmenschlichkeit und Liebe
für den anderen in seiner Not und seinem
Schicksal anfragen.
Während die Uhren weiterlaufen und nicht
aufhören zu ticken, machen sich in unseren
Gemeinden unzählige Helfer und Helferinnen
bereit, den Menschen auf der Flucht entgegen
zu gehen. Sie erwarten sie mit grenzenloser
Offenheit und Hilfsbereitschaft. Sie übernehmen
Patenschaften; begleiten sie zu den Behörden
und zum Arzt; bringen ihnen unsere Sprache
und Kultur nahe; feiern mit ihnen Gottesdienste
und versammeln sich mit ihnen zum Mahl.
Auch hierbei kann sich Auferstehung
ereignen. Gott schafft unaufhaltsam
mit uns. Wo es dunkel war, strahlt
Licht auf: Das Lächeln eines Kindes,
das zwar die Sprache nicht versteht,
aber die Stimme des Herzens des
anderen vernimmt. Der feste Händedruck
des Fremden, der Dankbarkeit
und Freude, aber auch Vertrauen
signalisiert.
Ich begreife vieles,
was in diesen Monaten zwischen
Menschen in unseren Gemeinden
geschieht, als einen Abglanz des Lichtes
des Ostermorgens.
Natürlich gibt es auch Probleme.
Sie zu verdrängen würde der Situation
nicht gerecht werden und uns in
unserer Verantwortung nicht
erstnehmen. Und diese Verantwortung
haben wir zweifelsohne, als Mitmensch
und als Christen in besonderem Maße.
Sie liegt zunächst in der Aufgabe,
in jedem Menschen, der auf uns
zukommt, Gottes Angesicht zu
sehen und ihm seine Würde
anzuerkennen, weil Gott
zu ihm steht.
Behörden und Institutionen
haben dabei das Ihrige
zu tun.
Manche in unserem Land
haben dieses Prinzip nicht begriffen.
Im Gegenteil. Sie grenzen sich ab.
Sie denken an das ganz Eigene,
sie schüren Gewalt und Terror,
sie zünden Häuser an und
verstören schwache Seelen.
Wer rollt den Stein
vor ihren verhärteten
Herzen weg?
Wer findet einen Zugang
zu ihnen und sensibilisiert sie
für das Leben,
seinen Wert, seine Würde,
seine Schönheit?
Und wie?
Ich glaube, dass es da
vor allem auf Offenheit ankommt
und die Bereitschaft, sich herausfordern
zu lassen und dies zum Wohle
einer Gesellschaft, in der
jeder seinen Platz haben darf,
ohne die Angst haben zu müssen,
dass man ihm diesen Platz
auf Leben absprechen wird.
Wir sind insgesamt als
Gesellschaft herausgefordert.
Die Verantwortung reicht
weit über die Grenzen
unseres Landes hinaus.
Als Weltgemeinschaft sind wir
herausgefordert.
Wir müssen wieder lernen,
für das Leben zu kämpfen,
uns für die Würde des Lebens
und seinen uneingeschränkten
Wert einzusetzen.
Wer dabei nur an das
ganz Eigene denkt,
an seinen Profit und seine Macht
und sein Ansehen, an seinen Erfolg
und seinen Gewinn und seinen Einfluss,
der schafft in die falsche
Richtung und zerstört im Letzten
sich selber.
Es ist Zeit für ein neues
Bewusstsein unter uns Menschen,
das auch die Schöpfung nicht
ausschließen darf.
Ob sich die Weltmächte
mit ihren ganz eigenen Problemen,
diesen Herausforderungen
zu stellen vermögen?
Auch hier geht es oft zu
sehr um die ganz eigenen
Interessen, deren Umsetzung
sehr oft Menschenleben
kostet.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht …
Wir sollten trotz allem die Hoffnung
nicht aufgeben. Ich bin fest davon überzeugt,
dass es immer wieder und immer öfter
Momente gibt, die uns aus der Finsternis
herausholen und in ein Haus
aus Licht stellen.
Hierfür gilt es offen zu sein
und sensibel zu werden.
Man muss sich dieser Momente
bewusstwerden; sich getrauen
sie beim Namen zu nennen,
was in einer zu Pessimismus tendierenden
Gesellschaft nicht immer
leicht ist.
In wenigen Tagen feiern
wir Ostern: Den Sieg des Lebens
über den Tod. Den Sieg des Lebens
über all die vielen Sinnlosigkeiten,
an denen der menschliche Verstand
und das menschliche Herz
zu zerbrechen drohen.
Unser Sinn kommt von Gott.
Er hat gewollt, dass wir
sind und leben.
Miteinander und nicht
gegeneinander.
Füreinander und nicht
jeder für sich.
Ich danke Ihnen allen
für Ihre aktive Unterstützung
und dafür, dass Sie helfen,
dass in das Lebenshaus
so vieler Menschen Licht
kommen kann.
Hören wir nicht auf,
weiterhin für das Leben
einzutreten und uns dafür
stark zu machen.
Stehen wir auf,
zur Auferstehung auf,
mitten am Tage,
mit unserem lebendigen Haar,
mit unserer atmenden Haut.
Miteinander und zum Wohl
aller.
Ein gesegnetes Osterfest
wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer
Thomas Diener