LK 19,1-10
Was ihn wohl bewegt,
den kleinen Mann,
vorauszueilen und nachzusehen,
wer der Fremde ist,
der durch die Straßen
seiner Stadt geht?
Was ihn wohl dazu bringt,
alles stehen und liegen
zu lassen, schneller als die
anderen sein zu wollen,
und auf einen Baum
zu steigen, von dem aus
er alles beobachten kann?
Können Sie es ahnen?
Erraten? Vermuten?
Durchschauen?
War es Neugierde?
War es wirkliches Interesse
an dem Mann aus Nazareth?
War es Sehnsucht?
Ich meine, dass es
wohl von allem etwas ist,
das Zachäus auf den Weg
bringt. Vor allem aber
die Sehnsucht.
Dazu muss man sein
Leben kennen. Ja, er ist
reich, hat einen großen
Besitz. Doch die Menschen
hassen ihn.
Er ist ein Kollaborateur.
Ein Überläufer. Ein Verräter.
Und, er betrügt die Menschen.
Haut sie übers Ohr. Nimmt
ihnen mehr Geld ab, als
er tatsächlich darf.
Ansehen hat er keines.
Könnten Sie auf Dauer
so leben? – Zachäus kann
es nicht. Mir scheint, dass
es etwas in diesem Menschen
gibt, das ihn stets unruhig
sein lässt, weil er spürt und
ahnt: Das kann nicht mit
meinem Leben gemeint sein.
Das kann es nicht gewesen
sein. Da muss es noch etwas
anderes geben. Etwas
Wahrhaftigeres, Ehrlicheres,
Wirklicheres; Entscheidenderes.
Etwas Sinnhaftes.
„Was sich nicht verändert,
wird leerer und leerer;
bis es nur Hülle ist
und dann aufhört zu sein.“
Ulrich Schaffer, Berührbar bleiben
Zachäus weiß es noch
nicht, doch mit dem ersten
Schritt auf Jesus zu, ganz gleich
aus welcher Motivation
heraus ihn Zachäus auch tut,
verändert sich sein Leben.
Diese Veränderung wird
noch deutlicher in dem
Moment, wo Jesus
auf ihn zukommt und ihn
auffordert vom Baum zu
steigen.
Unaufhaltsam nimmt
der Wandel in diesem
Mann seinen Lauf.
Es passiert, was der
Schriftsteller Ulrich Schaffer
einmal so ausdrückt:
„Ich bin das Ziel
Ich lasse, was unten ist,
nach oben kommen,
lasse es sein, wie es ist,
ohne etwas zu beschönigen.
Ich lasse die Momente
noch einmal durch meinen
Kopf segeln,
die Freiheit, die Aufmerksamkeit,
das Versagen im Kleinen,
die Aufbrüche, die Abgründe,
und erkenne, wie sich in allem
das unaufhaltsam Bahn bricht,
was ich immer wollte,
ohne es klar sagen zu können.“
„Herr die Hälfte
meines Vermögens
will ich den Armen geben,
und wenn ich von jemand
zu viel gefordert habe,
gebe ich ihm das Vierfache
zurück.“
Ganz klar erkennt
Zachäus, was er will
und was er zu tun hat,
wenn sein Leben
wieder echt werden
und Sinn finden soll.
Was geschieht, wenn
wir selber, angestiftet
durch diesen Zöllner
aus Jericho, beginnen über
unser eigenes Leben
nachzudenken?
Was käme nach oben?
Was haben wir im tiefsten
Inneren unserer Seele
eingeschlossen?
Was gäbe uns
ein Blick in die Tiefe
unseres eigenen Wesens
zu erkennen?
Welche Fragen würde
er provozieren?
Welche Sehnsüchte
würde er wachrufen?
Gäbe es etwas zu erkennen,
was wir schon immer wollten,
uns aber nie zu tun gewagt
haben?
„Was sich nicht verändert,
wird leerer und leerer;
bis es nur Hülle ist
und dann aufhört zu sein.“
Wie viele Menschen
laufen durch die Straßen
unserer Stadt, die nur
noch Hülle sind?
Die sich das Recht
auf Wandel versagen?
Die die Veränderung
scheuen und angstvoll
betrachten,
mit großer Zurückhaltung
der Einladung des Lebens
zum Leben gegenüber?
Christus selber
schenkt uns die Möglichkeit
in seiner Gegenwart
Bisheriges zu betrachten
und einen neuen
Aufbruch ins Leben
mit ihm zu wagen.
Es käme darauf an,
uns von ihm berühren
zu lassen.
Uns von ihm in die tieferen
Wahrheiten unseres Lebens
einführen zu lassen.
Wie diese Frau,
auf ihrem Weg zu sich selbst,
von der eine Kurzgeschichte
erzählt:
„Plötzlich wusste sie,
dass der Schritt geschehen würde.
Befreit von sich selbst
würde sie dann das tun können,
was sie immer gefürchtet hatte.
Das ist ein Morgen mit Lerchen,
mit langsam sich anstauender Sommerwärme,
mit der Stille wachsenden Grases,
mit einem neuen Gewissen,
das sich tief innen wie ein Schatz
im alten, überholten Gewissen
auftut.
Jetzt verweigert sie ebenso plötzlich
die Furcht vor der offenen Weite,
die fromm zeternden Stimmen
weit innen,
die Erbärmlichkeit ihres Verstandes,
und tritt hervor, hinein in die
andere Haut, in das Wagnis
des Schnitts.
Noch bemerkt es niemand,
aber ihr Kern bekommt jetzt
einen Kern, das Glühen nimmt zu,
die Seele wird wieder endlos
und bleibt nicht in engen
Bildern gefangen.
Gnadenlos gegen sich selbst
geht sie voran. Das ist Gnade,
mit der sie sich selbst beschenkt,
von Entscheidung zu Entscheidung.“
Gott möchte, dass wir
sind, mit jeder Pore unseres
Körpers das Leben verkosten
und verspüren und mit einem
wachen Herzen, das der
Berührung mit seinem
eigenen Grund und ihm, Gott,
nicht aus dem Weg geht.
Zachäus hat sich darauf
eingelassen. Auch unserem
Leben will Gott Heil schenken.
Das setzt die Bereitschaft
zum Wandel voraus.