Es gehört wohl zu
den schönsten Gleichnissen,
die Jesus erzählt hat:
Das Gleichnis vom
verlorenen Sohn.
Viele Menschen, die
diese Geschichte hören,
lassen sich von ihr ansprechen
und in ihrer Seele tief
anrühren.
Offensichtlich spricht
das Gleichnis ihre tiefsten
Sehnsüchte an:
Die Sehnsucht,
aus der Entfremdung wieder
nach Hause zu finden.
Die Sehnsucht,
aus dem Uneigentlichen
wieder zum Eigentlichen
zu finden.
Die Sehnsucht,
dass in jeder Situation
Umkehr und Rückkehr
möglich sind.
Die Sehnsucht,
dass der Mensch in
das Haus findet, in dem
er tatsächlich und wahrhaft
beheimatet ist.
Die beiden Söhne
in der Geschichte, sie stehen
für die beiden Pole,
die sich in jedem Menschen
wiederfinden lassen:
Der jüngere Sohn will
aus der Enge der Familie,
der Vorschriften und
Gesetze ausbrechen,
um das Leben in all
seinen Höhen und
Tiefen kennen zu lernen.
Der andere Sohn ist
über die Haltung seines
Vaters zutiefst verärgert.
Was den jüngeren Sohn
an Sehnsucht erfüllt
bringt die Aussage eines
jungen Mannes zum Ausdruck:
„Dieses ständige
Wegwollen.
Weg, trampen zu den
Freunden, in die Diskothek,
in Gaststätten saufen.
Hauptsache nicht mehr
zu Hause sein müssen,
zu Hause, wo es keine
Rückzugsmöglichkeiten
gibt, kein eigenes Zimmer,
offene Türen,
Telefon im Wohnzimmer,
wo einen selbst die Möbel
beobachten.“
Doch – so sagt es das Gleichnis –
gerade mit dieser Einstellung
verliert der junge Mann sich
selbst.
Er lebt zügellos.
Er lebt ohne Form.
Er lebt ohne Halt.
Er verschleudert sein Vermögen.
Er vergeudet sich an nutzlose Dinge.
Und so geht es ihm immer schlechter:
Er drängt sich einem Fremden auf.
Er landet bei den Schweinen.
Tiefer kann man nicht fallen.
In solchen Momenten
geben sich viele Menschen
auf. Sie können nicht sich selbst
verzeihen, dass sie ihr Leben
zugrunde gerichtet haben,
dass sie gescheitert sind.
Falscher Stolz spielt dabei
eine nicht unwesentliche
Rolle:
Wie sollte sich der junge
Mann, der völlig abgewirtschaftet
hat, seinem Vater und seinem
Bruder zeigen?
Deren Antwort liegt
auf der Hand:
„Das habe ich schon immer
gewusst, dass aus dir nichts wird,
dass du am Ende in der Gosse
landen wirst.“
Diese Schadensfreude
wollen sich viele Menschen
ersparen.
Der junge Mann,
von dem Jesus erzählt,
aber reagiert anders.
Völlig anders.
Sein Leidensdruck
ist so groß, dass er in
sich geht.
Er kommt zu sich selbst.
Und so bei sich selbst
angekommen, spürt er
die Sehnsucht nach
Heimkehr.
„Ich will aufbrechen
und zu meinem Vater gehen
und zu ihm sagen:
Vater ich habe mich gehen
den Himmel und gegen dich
versündigt. Ich bin nicht
mehr wert, dein Sohn
zu sein, mach mich
zu einem deiner
Tagelöhner.“
Der Sohn fühlt sich
wie tot und will endlich
wieder Auferstehung
erfahren; heraus aus
dem ganzen Wust seines
Lebens will er kommen.
Er geht also nach Hause.
Da kommt ihm auf dem Weg
sein Vater entgegengelaufen,
der ihn schon von Weitem
erblickt hat.
Er fällt ihm um den Hals.
Er küsst ihn.
Er steckt ihm einen
Ring an den Finger.
Er bekleidet ihn.
Er zieht ihm Schuhe an.
Von einem Vorwurf
ist nicht die Rede.
Im Gegenteil:
Freude macht sich
in ihm breit, darüber,
dass sein Sohn aus dem Tod
zum Leben erstanden ist,
dass er, der sich in der Welt
verloren hatte, wieder zu sich
selbst und zu seinem wahren
Wesen gefunden hat.
In vielen von uns
gibt es die Selbstverurteilung,
wenn sie einen Fehler gemacht
haben.
Sie können sich nicht
vergeben.
Und jede Einladung, sich selbst
zu vergeben, weil Gott ihnen
vergeben hat, bleibt im
Kopf stecken und erreicht
sie nicht in der Tiefe ihres
Herzens.
Da braucht es dieses Gleichnis
Jesu, das in der Tiefe
der Seele, im Unbewussten,
eine Wandlung herbeiführt
und es ermöglicht, sich
selbst zu vergeben.
Mit diesem Gleichnis heute,
will Jesus die inneren
Widerstände zerbrechen,
die das Unbewusste in einem
Menschen gegen Umkehr
und Vergebung aufbaut.
Das Gleichnis will unsere
Selbsteinschätzung verwandeln.
Es will uns Mut machen,
zu uns selbst heimzukehren,
ganz gleich, wie wir bisher
gelebt haben.
Das Gleichnis will uns
in der Person des jüngeren Sohnes
uns unseren Selbstwert wieder
zurückgeben.
Und zwar derart,
dass wir wieder aufrecht
durch das Leben gehen
können;
dass wir uns die Vergangenheit
nicht mehr länger vorwerfen,
sondern voller Dankbarkeit
in der Gegenwart leben,
weil wir selber aus dem Tod
zum Leben erstanden sind
und uns selbst wiedergefunden
haben.
Walter Kasper
wertet das Geschehen
in diesem Gleichnis so:
„Indem der Vater dem Sohn
sein bestes Gewand anzieht,
und einen Ring an die Hand
steckt, setzt er ihn neu
als Sohn ein, er gibt ihm
also seine Sohnrechte zurück
und anerkennt neu seine
Würde als Sohn.
Er schenkt ihm damit nicht
nur Leben sichernde Verhältnisse,
wie es der Sohn zunächst erhofft
hatte; die Barmherzigkeit des
Vaters geht über jedes
erwartete Maß hinaus.
Sie orientiert sich an der
Würde des Sohnes.
Diese ist der Maßstab
seiner Barmherzigkeit.“
Fazit:
Die Barmherzigkeit Gottes
führt den Menschen zur Rückkehr
zur Wahrheit über sich selbst;
dass er eine unauslöschliche
Würde besitzt, die ihm niemand
nehmen kann und dass er sich
von Gott angenommen und
geliebt wissen darf, ganz
gleich in welchen Sumpf
er in seinem Leben
geraten ist.
Doch da gibt es
auch den angepassten Sohn.
Auch er müsste umkehren:
aus der Enge in die Freiheit,
aus der Härte in die Barmherzigkeit.
Der Vater hat auch für ihn
Verständnis. Aber er mutet
ihm eine Verwandlung zu.
Nein, er macht auch
ihm keinen Vorwurf.
Ganz im Gegenteil:
„Wir müssen uns doch freuen
und ein Fest feiern.“
Er lädt ihn zur Freude ein.
Das Gleichnis lässt offen,
ob der ältere Bruder umkehrt.
Gleiches gilt für uns alle:
Jesus will uns zu nichts
zwingen. Weder in die eine
noch in die andere Richtung.
Er lädt uns dagegen ein,
das Gleichnis mit dem
Herzen zu hören.
Wenn wir uns ansprechen
lassen, dann geschieht
eine innere Weitung unserer
Enge und unser Herz
wird offen.
Wir finden uns dann wieder
und stehen auf, um neu
unseren Weg zu gehen,
ohne uns ständig die
vergangenen Fehler
und unser Scheitern
vorzuhalten.
Wir finden endlich
heim in das Haus, in dem wir
wirklich und tatsächlich
zu Hause sind, wo wir
das Fest des Lebens
feiern dürfen.