Auf der schweren Erde*
Wenn du dich hier
fremd fühlst, dann geht es
dir wie vielen von uns.
Manche legen Flossen an,
um zurückzuschwimmen zu ihrem
Ursprung.
Andere fliegen ungelenk durch
die Luft, die zu Brei wird
und ihre Bewegungen
erstarren lässt.
Dann gibt es welche,
die träumen sich davon
über Berge und Täler, immer
weiter, bis sie zu ihrem Erschrecken
da aufwachen, wo sie angefangen
haben.
Manche wollen nicht geboren
werden, sie halten die Nabelschnur
fest, werden von Wehen gepresst
und finden kein eigenes Leben.
Es gibt verschiedene Weisen,
sich dem Leben gegenüber zu verweigern:
Aus Angst, aus fehlendem Vertrauen
und Zutrauen, wegen des fehlenden Mutes
und der Überzeugung, dass sie zu schaffen
sind und bestanden werden können,
das Leben und seine zahlreichen
Herausforderungen.
Dann gibt es für viele
nur noch das Eine: Die Flucht.
Nein, nicht die Flucht nach
vorn. Es handelt sich dabei
ehe um eine Flucht nach hinten,
einen Rückzug. Viele träumen
sich weg in das Land ihrer
Fantasie, das mit dem richtigen
und wirklichen Leben nichts mehr
gemeinsam hat, jedoch das eigene
Leben in dieser für sie so fremden
Welt wenigstens einigermaßen
erträglich machen kann.
Von Realitätsverlust ist dann
die Rede.
Und wenn sie dann wirklich einmal
aus ihren Träumen aufwachen
sollten, dann stellen sie fest,
dass sie immer noch an dem Punkt
stehen, von dem aus sie geflüchtet
sind. Und es scheint für sie
noch schlimmer zu sein,
als zuvor.
Mit anderen Worten:
Man nimmt sich immer selber
mit an den Ort, an den man
neu aufbrechen will, um
Altes hinter sich zu lassen.
Die Flucht vor dem ganz Eigenen
gelingt in den wenigsten Fällen.
Eigentlich nie.
Wenn du dich hier
fremd fühlst, dann geht es
dir wie vielen von uns.
…
Aber es gibt (durchaus)
einige, die versuchen, die Fremdheit
zu entziffern. Sie haben sich Tafeln
angelegt für die skurrilen Zeichen.
Sie übersetzen die Alphabete des Leidens.
Sie legen Löwen an die Leine
und sprechen mit Ungeheuern.
Die beängstigenden Ungenauigkeiten
nehmen sie in Kauf.
Sie zähmen die Gewalten innen
und außen. Sie heben Schleier um
Schleier und erhalten sich
ihr Staunen.
Sie sehen in das Loch, in das
sie fallen, und schaffen sich so
Boden unter den Füßen.
Sie wagen und gewinnen,
sie wagen und verlieren
und wagen doch weiter.
Sie haben ihr Herz angeschlossen
an das Fremde und geben
und nehmen Blut
in jedem Wagnis.
Sie ringen manchmal nach Luft.
Mühsam zupfen sie das
auseinander, was sie nicht verstehen.
In aller Vorläufigkeit entdecken sie
die Festigkeit, die die Liebe
sogar den Minuten und Sekunden
geben kann.
Auch das scheint eine
Weise zu sein, sich dem Leben,
dem Hier und Jetzt, dem Augenblick zu stellen
und auf seine Herausforderungen
einzugehen und zu reagieren;
auch auf dieses „Sichfremdfühlen“
in dieser Welt, in diesem Leben -
einem Gefühl, das gerade Christen
vertraut sein sollte, da
sie ja nicht von dieser Welt
sind und ihr Leben über ihre
irdische Existenz hinausweist, auf
den einen neuen Himmel
und die eine neue Erde hin.
Dennoch können Christen
nicht einfach vor diesem Leben
flüchten und das Weite suchen.
Sie dürfen es nicht. Um „Himmels
willen“ nicht, der nicht irgendwann
einmal Wirklichkeit für uns werden
will, sondern der bereits begonnen hat,
uns alle mit seinen ihm ganz
eigenen Realitäten einzuholen,
hier auf Erden schon, mitten
in der Fremde, wenn Sie es
so wollen.
So bewohnen sie die Fremde,
und es gibt Tage, da sind sie so zu Hause,
dass sie nicht mehr weg wollen.
Kennen Sie dieses Gefühl -
des Einklangs mit sich selber;
der Harmonie mit allem, was ist;
des Einseins mit Gott, dem Nächsten,
der Schöpfung und sich selbst?
Das sind die Momente,
in denen der Himmel wahrlich
schon jetzt die Erde berührt, unsere Seele
betroffen macht; Momente, für die
es sich zu leben lohnt, hier und
jetzt.
Und dennoch, ob wir es wollen
oder nicht, wir müssen eines Tages
aufbrechen, aufbrechen für
immer.
Der Tod ist die Wirklichkeit
unseres Lebens, um die wir
uns nicht herummogeln können,
so sehr wir uns in unserer Gesellschaft
auch darum bemühen, ihn auszutricksen.
Er spricht eine endgültige Sprache.
Dennoch wird mit ihm
nicht alles aus und vorbei
sein. Wir sind eingeladen
unseren Blick über das hinaus
zu erheben, was viele als
endgültig erklären wollen,
dieses Leben, hier auf
Erden, weil sie meinen,
ein anderes gäbe es
nicht.
Der Tag heute verspricht
uns ein „Mehr“ zu all dem,
was ist und jemals auf Erden
sein wird: Eben diesen
neuen Himmel, diese neue
Erde. Und die Sehnsucht, die
in unserem Herzen ruht
stimmt diesem Versprechen
leise zu:
Schwester Sehnsucht
Ich sehne mich nach der Heimat
in der Hand der Milde, nach dem
Regenbogen quer durch unsere
Augen, nach einer Salbe
für die Zerrungen der nackten Seelen,
nach einer neuen Sanftmut,
in der auch die härtesten Worte
nicht mehr töten.
Ich sehne mich nach Augen,
mitten in der Blindheit aus Angst.
Ich verzehre mich nach der Weite,
in der einer dem anderen nah ist,
ohne die Steifheit der Enge.
Ich strecke mich aus
wie eine Hand, die aus der
Verworrenheit ragt.
Die Gräser der Liebe werden uns
schützen, die Musik, die jedes Blühen
begleitet, wird uns den Weg weisen.
Das Leben wird lebbar sein,
und ich werde an deinen Händen
tanzen.
Spüren Sie, dass das Jenseits
nur auf der anderen Seite
einer sehr zarten Tür liegt,
die zu öffnen nicht des Todes
bedarf und nicht einer
besonderen Intelligenz,
sondern nur der Entscheidung
zu sehen.
Wenn du dich hier
fremd fühlst, dann geht es
dir wie vielen von uns.
Niemand muss sich wirklich
fremd fühlen in diesem Leben
auf dieser Erde, unter Menschen,
in Gottes Welt.
Der Himmel liegt nur
ein Stückweit von uns
entfernt und manchmal,
manchmal, da fällt ein Licht
durch den Türspalt und wir
beginnen zu ahnen,
was uns hinter der Tür
erwartet:
Ein neuer Himmel,
eine neue Erde, wo uns nichts
mehr fremd sein muss und wo sich
selbst Gott von uns erkennen lässt,
von Angesicht zu Angesicht.
* Kursiv gedruckte Gedanken stammen von Ulrich Schaffer