Doris ist im Altersheim.
Auf ihre Kinder kann sie sich
nicht verlassen.
Die gehen ihre eigenen Wege.
Doris fühlt sich einsam.
Sie stirbt vor Einsamkeit.
Sie hungert nach
menschlicher Berührung.
Sie sucht verzweifelt
nach einer Umarmung.
Die Einsamkeit
bringt sie fast um.
„Am meisten vermisse
ich meine Freunde“, sagt sie.
„Manche sind schon tot.
Andere sind in derselben Situation wie ich.
Zu anderen habe ich den Kontakt verloren.
Man denkt immer, dass die Freunde endlos
da sein werden. Aber das Leben geht weiter,
und plötzlich stehen sie da und haben keinen
Menschen auf der Welt, der sie versteht,
oder irgendetwas über Ihre Geschichte weiß.“
Doris sehnt sich nach Verständnis
und Angenommensein.
Sie vermisst ihre Freunde,
weil das die Menschen
waren, die sie wirklich verstanden.
„Ein treuer Freund
ist wie ein festes Zelt;
wer einen solchen findet,
hat einen Schatz gefunden.
Für einen treuen Freund
gibt es keinen Preis,
nichts wiegt seinen Wert auf.
Das Leben ist geborgen
bei einem treuen Freund.“
Jesus Sirach 6,5ff
Im Alten Testament,
im Buch Jesus Sirach,
lese ich diese Worte
über die Freundschaft.
Herbert ist 74.
Für ihn steht fest:
„Wenn ich nicht meine Freunde
gehabt hätte, wäre ich
ein sehr einsamer alter Mann gewesen.
Mir hätte die
Gesellschaft von Menschen gefehlt,
die in meinem Alter sind
und ähnlich denken.
Wenn man ein bisschen Zeit
mit seinen Freunden verbringt,
wird man wieder daran erinnert,
wer man ist.
Gute Freundschaften
regen uns an.
Die Schönheit einer Freundschaft
liegt darin, dass uns unsere Freunde
als die nehmen, die wir sind, über das
hinaus, was wir gemeinsam haben.
Bei Freundschaft geht
es darum, so angenommen zu werden,
wie man ist, nicht als derjenige, der
man gerne sein würde.
Freunde werden
ein Leben lang
kommen und gehen.
Deswegen sollten wir sie schätzen,
solange sie bei uns sind.“
Wie viele Menschen zählen
Sie zu Ihren wirklichen Freunden?
Was macht den Unterschied
zwischen Freunden und Bekannten
aus?
Kann man tatsächlich viele Freunde
haben, oder ist nicht schon ein treuer Freund
ein nicht aufzuwiegendes Geschenk?
In der Tat, Freunde
sind wichtig. Sie sind unersetzbar.
Manche werden über lange
Umwege zu echten Freunden.
Angebliche Freunde zeigen
erst nach der Erprobung
ihr wahres Gesicht.
„Mancher ist Freund je nach der Zeit,
am Tag der Not hält er nicht stand.
Mancher Freund wird zum Feind,
unter Schmähungen deckt er den Streit mit dir auf.
Mancher ist Freund als Gast am Tisch,
am Tag des Unheils ist er nicht zu finden.“
Jesus Sirach
Wie wahr doch die Worte
des Predigers sind!
Wie viele unechte Freunde
kommen auf einen echten,
und wie hat sich dieses Verhältnis
im Lauf Ihres Lebens
verändert?
Haben Sie schon einmal
darüber nachgedacht?
Und:
Welche Freundschaften
halten bis heute? Warum?
Welche Freundschaften
sind auseinandergegangen? Warum?
Welcher Freundschaft trauern
Sie heute noch nach? Warum?
Was könnten Sie tun,
um wieder den Kontakt hierzu
aufzunehmen?
Vorausgesetzt Sie möchten dies.
Und wenn nicht, warum nicht?
„Ich nenne euch nicht
mehr Knechte; …
Vielmehr habe ich euch
Freunde genannt …“
Jesus begegnet uns
mit einem echten
Vertrauensvorschuss.
Was wirkliche und wahre
Freundschaft ausmacht,
das bietet er uns an.
Und, das erwartet er auch
im Gegenzug von uns.
Freundschaft unter Menschen
beruht auf Gegenseitigkeit.
Die Freundschaft mit Jesus
nicht weniger.
Alles, was zählt,
alles, was eine Freundschaft
schafft und erhält,
das macht auch die Beziehung
mit ihm aus.
Zuneigung,
Vertrauen,
Wahrhaftigkeit,
Ehrlichkeit,
Natürlichkeit,
Liebe,
Vergebung,
Nähe,
Distanz,
Verlässlichkeit,
Regelmäßigkeit,
Trost,
Halt,
ein bedingungsloses Ja
zueinander.
„Und - lasst euer Bestes
für euren Freund sein.
Wenn er die Ebbe eurer Gezeiten
kennen muss, lasst ihn auch
das Hochwasser kennen.
Denn was ist ein Freund,
wenn ihr ihn aufsucht,
um die Stunden totzuschlagen?
Sucht ihn auf,
um die Stunden mit ihm
zu erleben.
Denn er ist da,
eure Bedürfnisse zu befriedigen,
nicht aber eure Leere auszufüllen.
Und in der Süße der Freundschaft
lasst Lachen sein und geteilte Freude.“
Khalil Gibran
Jesus bringt es so auf den Punkt:
„Bleibt in meiner Liebe.“
Mehr braucht es nicht,
aber auch nicht weniger,
damit die Freundschaft
mit ihm bestehen bleiben kann.
Zugegeben, das Bleiben in seiner Liebe
erfordert sehr viel an Beweglichkeit
und Einfallsreichtum, an Spontaneität
und Kreativität, an Zutrauen und Glauben,
an Geduld und Verrücktheit von uns.
Gerade das macht Freundschaft
so einzigartig, kostbar und wertvoll.
Auch jene, die die Beziehung
zu Jesus betrifft.
„Bitte zähme mich!“
sagte der Fuchs
„Ich möchte wohl“, antwortete
der kleine Prinz, „aber ich habe
nicht viel Zeit. Ich muss Freunde
finden und viele Dinge kennenlernen.“
„Man kennt nur die Dinge,
die man zähmt“, sagte der Fuchs.
„Die Menschen haben keine Zeit mehr,
irgendetwas kennenzulernen.
Sie kaufen sich alles fertig
in den Geschäften.
Aber da es keine
Kaufläden für Freunde gibt,
haben die Leute keine Freunde mehr.
Wenn du einen Freund willst,
so zähme mich.“
Noch etwas anderes scheint
mir bedenkenswert zu sein:
Wenn Jesus allen Menschen
seine Freundschaft anbietet
und jeder Mensch,
ganz gleich welcher
Weltanschauung,
Nation,
Kultur
er auch sei,
ob Kind oder Greis,
ob Frau oder Mann,
ob Schwarz oder Weiß
die Möglichkeit hat,
ein Freund Jesu zu werden,
dann hat das zugleich
auch Auswirkungen auf unseren
Umgang miteinander.
Wir können einander nicht mehr
länger fremd bleiben. Wir dürfen es nicht.
Wir können einander nicht mehr
länger ignorieren. Wir dürfen es nicht.
Wir können einander nicht mehr
länger aus dem Weg gehen. Wir dürfen es nicht.
Wir können nicht mehr länger
die Verantwortung füreinander
negieren. Wir dürfen es nicht.
Die Qualität unseres Miteinanders
muss sich verändern.
„Willst du mein Freund sein?“,
fragt die acht Jahre alte Sabine ihren
Klassenkammeraden Paul
auf dem Schulhof.
„Ja“, sagt dieser und strahlt
mit seinen Augen wir ein Honigkuchen.
Und beide nehmen sich
an der Hand und gehen in den Klassensaal
zurück.
Ich wünsche uns allen,
die Fähigkeit des unverstellten
und vorbehaltlosen Aufeinanderzugehens.
Sei es im Hinblick auf den anderen.
Sei es im Hinblick auf Gottes Sohn.
Und die Erfahrung echter Freundschaft,
die wünsche ich uns auch.