„Wo wohnst du?“
Welche Antwort würden wir
auf diese Frage erwarten?
Wo glauben wir,
wohnt er, Jesus?
Ist Ihnen schon einmal
aufgefallen, dass nirgendwo
in den Evangelien wirklich zu lesen
ist, wo Jesus wohnt?
Wo er seine Bleibe hat?
Wo er Zuhause ist?
Wo er ansässig ist?
Aufenthaltsorte
werden genannt:
Auf dem Berg.
Im Haus des Petrus.
Bei Maria und Marta.
In einer einsamen Gegend.
Und immer wieder
auf dem Berg.
Am meisten jedoch
unter Menschen.
Auf einer Hochzeit.
Im Haus des Zöllners.
Am Tisch des Pharisäers.
Am Bett des todgeglaubten Mädchen.
Auf Marktplätzen.
In Synagogen.
„Wo wohnst du?“
Teresa von Avila
schreibt über Augustinus:
„Überall suchte er Gott.
Bis er ihn endlich fand.
In seinem eigenen Inneren.
Das muss man sich mal vorstellen,
was es für eine verstreute Seele
bedeutet, wenn sie erkennt,
dass sie nicht zum Himmel aufsteigen
muss, um mit dem Vater zu reden,
und dass kein lautes Rufen notwendig ist,
um seine Liebe zu erfahren.
Wie leise sie auch spreche,
er ist so nahe, dass er sie hört.“
„Wo wohnst du?“
Teresa schreibt einmal diese
Zeilen, die ihr eigenes Suchen
nach der Bleibe Gottes
wiederspiegeln:
„In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen Mich nicht findet,
dann such nicht dort und such nicht hier,
gedenk, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche Mich in dir.
Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für;
ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von Mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf Mich, und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen;
und, Seele, suche Mich in dir.“
„Wo wohnst du?“
Wollen Sie das Experiment
mit mir wagen?
Schließen Sie Ihre Augen.
Werden Sie ganz still.
Achten Sie auf Ihren Atem.
Stellen Sie sich im Stillen
die Frage: „Wo wohnst du, Herr?“
Drehen Sie sich zu Ihrem Nachbarn hin.
Öffnen Sie die Augen und blicken
Sie ihn an.
Die Antwort sitzt Ihnen gegenüber.
Gott wohnt im anderen. Im Innersten
seines Daseins, in der inneren Kammer
seines Herzens. Als Licht und Erbarmen.
Als Liebe und Zärtlichkeit.
Der Weg zu Gott läuft nicht vom
anderen weg. Er führt geradewegs
auf den anderen zu. Gott ist uns
näher als wir meinen.
Sozusagen immer dicht auf den
Fersen. Manchmal steht er einem
auch fest auf dem Fuß.
Das muss man sich einmal vorstellen!
So etwas hat zweifelsohne Konsequenzen.
Sicher, es kann oftmals ein lebenslanges Suchen
und Wandern sein, dort anzukommen,
wo Gott wohnt.
Für den, der ihn dann gefunden hat
verstummte nicht nur jede bange Frage.
Es hätte endlich auch ein Ende
mit der Fremdenfeindlichkeit
unter Menschen,
in unserem Land.
Es hätte endlich auch ein Ende
mit Hass und Terror in dieser Welt,
mit Gewalt und Unterdrückung,
mit Zerstörung und Mord,
mit Ausschluss und Abweisung.
Ich hörte vor kurzem von einem
Ruander, der immer wieder unsere
Gottesdienste in unserer Pfarrei
besucht. Nein, er wohnt nicht hier.
Er kommt nur immer wieder gerne
zu uns, um mit uns Gottesdienst
zu feiern. An Weihnachten verweigerte
man ihm beim Friedengruß die Hand.
Bewusst.
Wie gesagt:
Es kann oftmals ein lebenslanges Suchen
und Wandern sein, dort anzukommen,
wo Gott wohnt.
Es gibt aber auch welche,
die sich noch nicht einmal die
Mühe des Suchens und Wanderns
machen wollen.
„Wo wohnst du?“
Auch in meiner eigenen Tiefe
ist er zu finden. Der Weg zu Gott
läuft auch nicht von mir weg.
Er ist mir selber innerlicher
als ich es zu meinen glaube.
Auch das hat seine Konsequenzen,
wenn es darum geht groß und gut
von mir selber zu denken.
Das muss man sich einmal vorstellen,
wenn wir anfingen, mit einem Mal
zu sehen, wie Gott mit seiner ganzen
Kraft in uns ist.
„Wisst ihr nicht,
dass ihr Gottes Tempel seid
und der Geist Gottes in euch wohnt?“
Paulus fragt dies seine
Gemeindemitglieder.
Wissen Sie es?
Wer das einmal anfängt zu begreifen,
wer das „sehen“ könnte,
dem würde die Angst vertrieben,
der würde aus der Enge
in die Weite kommen,
vom Dunkel ins Licht.
Da wäre mit einem Mal
eine so große Freude in uns.
„Wo wohnst du?“
Gott ist uns innerlicher
als wir zu meinen glauben.
Wir brauchen keine Flügel,
um zu ihm zu gelangen,
nur in die Einsamkeit
müssen wir uns wagen,
uns getrauen in unser Inneres
zu schauen und uns nicht wundern
über einen so hohen Gast.