„Wohin kann ich
die Sorgen tragen
und von den Schultern
gleiten lassen
wie eine allzu schwere Last?
Wem kann ich meine
Wunden zeigen,
in wessen Arme meine
Tränen weinen?
Wo finde ich die Ruhe
und den Frieden,
wenn ich getrieben bin?
Wem kann ich sagen,
was in der Tiefe
mich bewegt?
Wen kann ich fragen,
wenn ich keine
Antwort weiß?
Und wohin können
die Gefühle fluten,
ohne zu versanden?
Wohin kann meine Seele
schwingen, ohne zu zerbrechen?
Wem kann ich
meine Freude singen?
Wer will das Strahlen
meiner Augen sehen?
Vor allem wem soll ich
die Lust des Lebens
tanzen?
Bist Du es
meine Klagemauer?“
Klemens Jockwig
Fragen über Fragen.
Fragen, die es in sich haben.
Fragen, die bis auf den Boden
der eigenen Existenz reichen.
Und in allen Fragen,
diese eine Frage nach dem
„Wohin“.
„Wohin soll ich mich wenden,
wenn Gram und Schmerz mich drücken?
Wem künd´ ich mein Entzücken,
wenn freudig pocht mein Herz?“
Franz Schubert dichtet diese Zeilen
in seiner Deutschen Messe.
Die Frage ist so alt wie
die Menschheit.
Die Frage trägt sich durch
die Zeit.
Woher kommt mir Hilfe?
Die Frage des Psalmisten
ist über 2000 Jahre alt.
Und es ist nicht nur seine Frage.
Wäre es eine allzu große
Unterstellung meinerseits,
wenn ich sage, dass sie
jeder von uns mit sich
herumträgt?
Vor allem Menschen,
die mit ihrem Leben nicht mehr
klar zu kommen scheinen.
Menschen, die an diesem
Leben und seinen Bedingungen
in die Irre gehen wollen
und nur noch am Verzweifeln
sind.
Auslöser hierfür gibt es viele:
Kummer,
Sorge,
Depression,
Sinnlosigkeit,
Streit,
Krieg,
Gewalt,
Terror,
Zerstörung,
Hass,
Neid,
Sterben,
Tod …
„Wohin kann ich die Sorgen
tragen und von den Schultern
gleiten lassen wie eine schwere Last?“
„Es war einmal ein Mann“,
so erzählt eine Geschichte,
„den ängstigte der Anblick seines
Schattens so sehr,
dass er beschloss, ihn hinter sich
zu lassen.
Er sagte zu sich:
Ich laufe ihm einfach
davon.
Er stand auf und lief davon.
Aber der Schatten folgte
ihm mühelos.
Er sagte zu sich:
Ich muss schneller laufen.
Also lief er schneller und
schneller. Er lief so lange,
bis er tot zu Boden sank.“
Schatten werden sichtbar,
wenn wir erfahren, dass unser Leben
Stückwerk ist.
Schatten werden sichtbar,
wenn wir erfahren, dass vieles
von unseren Plänen
und hochgesteckten Zielen
auf der Strecke bleibt.
Und schließlich wirft der Tod
seine Schatten voraus.
Manche unter uns haben
unglaubliche Angst vor
dem Älterwerden
und der Einsamkeit.
Es war einmal ein Mann,
den ängstigte der Anblick
seines Schattens so sehr,
dass er sagte: Ich laufe
ihm einfach davon.
In der Tat, es ist oft
zum Davonlaufen:
Weg von den Konflikten,
weg von den Halbheiten
und Inkonsequenzen,
weg von den zerbrochenen
Beziehungen, von Versagen
und Schuld, weg, weit weg.
So sind wir auf der Flucht
vor unserem Schatten.
Aber er folgt uns mühelos.
Selbst wenn wir zusammenbrechen,
unser Schatten bleibt.
Muss die Geschichte so enden,
dass sich der Mensch totläuft?
Nein! Die Geschichte nennt
noch eine andere Möglichkeit.
Der Nachsatz deutet sie an:
Wäre der Mann in den Schatten
eines Baumes getreten, so wäre
er seinen Schatten losgeworden.
Aber darauf kam er nicht. -
Wohin kann ich die Sorgen
tragen und von den Schultern
gleiten lassen wie eine schwere Last?
…
Bist Du es meine Klagemauer?
Anders gefragt:
Wo ist der Baum,
der unseren Schatten aufnimmt?
Hier sind wir mit unserer Geschichte
am Ende.
Hier beginnt eine andere Geschichte,
Gottes Geschichte mit uns.
Gott hat sich der Sache angenommen.
Er hat sich unseres Lebens angenommen
und zugleich all der vielen Fragwürdigkeiten,
die es für uns Menschen bereithält.
Er hat in unserer Mitte einen Baum
aufgerichtet: den Baum des Kreuzes.
Und er lädt uns ein, uns unter das Kreuz
zu stellen.
„Im Kreuz ist Heil.
Im Kreuz ist Leben“,
so bekennen wir.
Damit sind nicht mit einem Schritt
alle Probleme gelöst und alle Konflikte
versöhnt. Wer wollte das sagen –
unter dem Kreuz!
Aber wir haben
einen Ort gefunden,
wo wir stehen können.
Ob nicht viele Menschen
auf der Flucht sind, weil sie
den Baum des Kreuzes
nicht mehr wahrnehmen?
„Kommt alle zu mir,
die ihr euch plagt und
unter schweren Lasten
zu tragen habt“, sagt Jesus.
Gibt es mehr zu sagen?
Das ganze Evangelium
ist eine Einladung, sich
in den Schatten des Kreuzes
zu stellen.
Der Karfreitag gibt diese
Einladung an uns alle weiter.
Mit einem Gedanken
von Jutta Schmitt
will ich enden:
Eine Leiter
In der Tiefe meiner
Ohnmacht hast du eine
Leiter gestellt.
Ich weiß nicht, wie
du sie befestigt hast.
ich weiß nicht, woran
sie anlehnt.
Ich weiß nicht in
welche Höhe sie führt.
In der Tiefe meiner
Finsternis hältst du mir
die erste Sprosse hin.
Ich weiß nicht,
wie breit sie ist.
Ich weiß nicht,
wie stark sie ist.
Ich weiß nicht,
wie lange sie hält.
Aus der Tiefe
meiner Zerrissenheit
reiche ich Dir
meinen kleinen Finger
ach nähmest Du doch
meine ganze Hand.
Gott hat uns schon
längst bei der Hand genommen.
Und er lässt uns nicht los.
Und er zieht uns alle an sich.
Unter das Kreuz,
das die Niedrigen erhöht
und unter dem zaghaft das Fest
der Hoffnung beginnt.
Herr, denk an uns,
wenn du in dein Reich
kommst.