Sie ist längst keine
Ungekannte mehr:
Madeleine Delbrel.
Poetin,
Sozialarbeiterin.
Mystikerin.
Vorläuferin des II. Vatikanischen Konzils.
Prophetin der Nachkonzilszeit.
Praktische Theologin.
Expertin des Lebens.
„Wir haben nur ein Ziel,
und zwar nicht das Ziel, etwas zu tun,
sondern das Ziel, etwas zu leben:
Das Abbild Jesu Christi zu sein,
indem wir sein Evangelium
leben.“
Gott einen Ort zu sichern,
mitten in dieser Welt,
mitten unter Menschen mit
ihren ganz unterschiedlichen
Lebensentwürfen,
das gilt als ihr großes Anliegen.
Im vergangenen Jahr
war ihr 51. Todestag.
Auch die Kirche verehrt sie
als Mystikerin der Straße.
Dabei verhielt es sich
nicht immer so mit ihr
und ihrem Leben.
Vor ihrer Bekehrung zum Christentum,
ist diese Frau überzeugte Atheistin.
Die Erfahrungen des ersten Weltkrieges
bringen sie dazu, nach dem Sinn
des Lebens und vor allem des Leidens
zu fragen.
Bereits mit fünfzehn ist sie
strikt glaubenslos und findet
die Welt immer absurder.
„Man hat gesagt:
„Gott ist tot“.
Weil das wahr ist,
muss man auch den Mut haben,
nicht mehr so zu leben,
als ob er lebte.
…
Man darf nicht mehr so leben
wie Menschen, für die das Leben
eine große Sache ist.
…
Die Liebenden schließlich müssten sich
am ehesten an den Kopf fassen:
„Ich liebe dich auf ewig …“
Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen,
dass sie zwangsläufig untreu sein werden.
Tag für Tag rückt ihre Untreue näher.
Ganz zu schweigen vom Alter,
diesem Tod auf Raten.
…
Wenn ich einmal liebe,
dann wird das nur auf Zeit sein,
wie befristet, wie in Eile.
…
Und wer ist der Erbe?
Der Tod.“
Wenn zu Beginn
der Fastenzeit die Asche
in Form des Kreuzes auf
die Stirn eines Menschen
gezeichnet wird,
dann geschieht dies zumeist
mit den Worten:
„Gedenke Mensch, dass du
Staub bist und dass du zu Staub
zurückkehren wirst.“
Es gibt noch einen anderen
Satz, der diese Handlung
begleiten kann:
„Bekehre dich und glaube
an das Evangelium.“
Madeleine Delbrel meint:
„Bekehrung ist ein entscheidender
Augenblick, der uns abkehrt
von dem, was wir über unser Leben
wissen, damit wir, Auge in Auge
mit Gott, von Gott erfahren,
was er davon hält und daraus
machen will.“
Diese Frau weiß,
wovon sie spricht
und was sie uns mit
ihren Worten zumutet:
Zunächst hinzuschauen auf das,
was wir selber vom Leben wissen,
was wir von dieser Welt und vom
Menschen begriffen haben.
Das ist nicht viel.
Das kann nicht viel sein,
im Vergleich zu dem, wie Gott
das Leben sieht und versteht
und was er daraus machen will,
was er daraus entstehen lassen
möchte.
Hätten wir ansonsten
dieses haufenweise Elend
unter Menschen, die von
Menschhand initiierte
Perversion und Verrücktheit
dieser Welt und menschlichen Lebens?
Hunger,
Leid,
Gewalt,
Vergewaltigung,
Demütigung,
Ausgrenzung,
Krieg,
Umweltkatastrophen,
Hass,
Neid,
Eifersucht,
…
Tod?
Natürlich gibt es auch die Momente,
in denen das Göttliche ganz nah erfahren wird
und was Leben wirklich sein und bedeuten
will.
Augenblicke, in denen
der Himmel die Erde
und die Erde den Himmel
berührt.
Doch immer wieder
gibt es im Menschen
die Tendenz, dass er wieder das
alte Leben macht und eine Welt,
die er sich selbst erbaut:
ein Leben, in dem der Glaube
nichts mehr auf den Kopf stellt,
eine Welt mit der sich der Glaube
ohne Schwierigkeiten verständigt.
Voller Kompromisse.
„Die Bekehrung des Menschen
und ihre Gewaltsamkeit können das
ganze Leben lang andauern“,
meint Madeleine Delbrel.
Für den Moment schauen wir
auf die vor uns liegenden vierzig Tage.
Sie erlauben es uns,
schließlich auch darauf zu schauen,
wie Gott unser Leben gemeint hat,
als er uns in Leben rief
und zu sehen, was es braucht,
um dieser Berufung zum Leben
und zur Nachfolge wieder
auf die Spur kommen
zu können.
Schön wäre es,
ja es käme einer Auferstehung
aus der Asche gleich, wenn wir
einstimmen könnten
in die Worte Madeleine Debrels,
die schreibt:
„Du lebtest, und ich wusste es nicht.
Du hattest mein Herz nach deinem Maß
geschaffen, mein Leben, um so lange
zu währen wie du, und weil
du nicht da warst, war mir die ganze Welt
verhasst und ohne Bedeutung,
und das Schicksal der Menschen erschien
mir als grausam und hohl.
Als ich nun wusste, du lebst,
habe ich dir gedankt,
dass auch ich durch dich leben
darf; habe ich dir gedankt,
dass die ganze Welt durch dich
lebt.“