„Kloster auf Zeit“
so lauten Angebote
verschiedenster Klöster
in unserem Land.
Sie geben den Menschen
die Möglichkeit, sich für eine
bestimmte Zeit aus ihrem Alltag
zurückzuziehen und
das loszulassen, was ihr tägliches
Geschäft ausmacht,
um Ruhe zu finden,
zu sich selber zu kommen und damit
auch dem Wesentlichen ihres Lebens
wieder auf die Spur.
„Kloster auf Zeit.“
Das Angebot wird genutzt,
von Männern und Frauen
aus Gesellschaft und Politik,
aus Industrie und Wirtschaft
und Kirche.
Es scheint,
dass das Angebot
Bedürfnisse anspricht und weckt,
die im oftmals doch allzu angefüllten
Alltag in den Hintergrund geraten
oder gar gänzlich verloren gehen.
Gerade Manager
großer Unternehmen
wissen das Angebot zu schätzen.
Sie halten in ihrer Arbeit inne,
um an diesem „einsamen Ort ein wenig
auszuruhen“, aufzutanken,
sich zu besinnen,
um sich dann schließlich wieder,
innerlich erneuert, in den Alltag
zurückzubegeben.
Wie zufällig kommen
manche von ihnen bei
dieser Auszeit auch Gott auf die Spur.
Sie fangen an, Erfahrungen der Nähe
Gottes in ihrem Leben zu begreifen
und festzumachen.
Schon sehr früh haben
Ordensleute es verstanden,
sich den Gezeiten
des Lebens zu stellen.
Es gibt eine Zeit für das Arbeiten.
Es gibt eine Zeit für das Innehalten,
das Loslassen des Alltäglichen,
um das Eigentliche
wieder zu finden:
… das was einen Menschen trägt.
… das was einen Menschen ausmacht.
… das was einem Menschen Sinn gibt.
Das rechte Maß
ist das Leitmotiv
der Regel des Heiligen Benedikts.
„Ora et labora“, lautet
das Schlüsselwort.
An ihm orientieren sich alle
Lebensbereiche im Kloster.
Arbeit und Gebet,
Bewegung und Ruhe,
Speisen und Getränke,
Mahl- und Fastenzeiten,
Handarbeit und Lesung,
Schweigen und Reden.
Alles soll zur rechten Zeit
und in ausgewogenem
Maß erfolgen.
„Bete und arbeite.“
Kann es sein,
dass die Unausgeglichenheit
so vieler Mitmenschen, ihr Gereiztsein,
ihr innerliches Ausgebranntsein und ihre
Depressionen und Frustrationen,
ihre Unzufriedenheit mit sich
und der Welt auch damit zusammenhängen,
dass sie schon lange das rechte Maß
verloren haben? Also schon zu lange
zu maßlos leben?
Wir haben in vielen Dingen
das Maß verloren:
Es wird maßlos produziert.
Es wird maßlos konsumiert.
Es wird maßlos kommuniziert.
Es werden Menschen maßlos
strapaziert.
Jesus hält seine Jünger
dazu an, mit ihm zu kommen
und auszuruhen.
Jesus weiß, wie sehr
dies die Seele eines Menschen
braucht, damit sie sich
nicht verliert.
Der Mensch darf das rechte
Maß nicht aus dem Auge verlieren.
Erst recht als Kirche
dürfen wir dieser Versuchung
nicht unterliegen,
um den Bezug nicht
zu uns selber zu verlieren
und auch den Bezug zu den
anderen Menschen nicht.
Erst recht nicht den Bezug
zu Gott und seinen Absichten
mit uns.
Unser Leben sollte
sich in der Spannung
zwischen Aktion
und Kontemplation
bewegen. Alles allzu
Einseitige macht uns Menschen
kaputt.
Dass es gar nicht so
einfach ist, diese Spannung
im Alltag zu halten
und für das rechte Maß
und den Ausgleich zu sorgen,
auch darauf weist das Evangelium
hin.
Kaum dass die Jünger mit
ihrem Boot an das andere Ufer
losgefahren sind, machen
sich die Leute auf den Weg,
um sie dort mit ihren ganz
eigenen Anliegen
und Bedürfnissen zu erwarten.
Jene, die Jesus vorkommen,
wie Schafe, die keinen Hirten
haben.
Mir fällt auf,
dass an diesem Punkt
die Erzählung endet und
wir nicht erfahren, wie sich
Jesus und seine Jünger
verhalten haben.
Es wird immer wieder
genügend Gründe geben,
sich in seinen ganz eigenen
Bedürfnissen
unterbrechen zu lassen.
Es wird immer wieder
genügend Gründe geben,
immer nur weiterzumachen
und nicht innerzuhalten:
… weil die Arbeit nicht liegen
bleiben darf,
… weil die Dinge keinen Aufschub
erlauben,
… weil ich doch niemanden abweisen kann,
… weil alles andere scheinbar
wichtiger ist,
… weil,
… weil,
… weil …
Bis es dann eines Tages
einfach nicht mehr geht
und der Mensch
zusammenbricht.
Wir haben Verantwortung
den Dingen, den Menschen
und dieser Welt gegenüber.
Wir haben aber auch
Verantwortung gegenüber
unserer eigenen Seele,
Verantwortung gegenüber
unserem eigenen Leib,
Verantwortung gegenüber
unserem eigenen Geist.
Keiner nimmt uns
diese Verantwortung ab.
Wir müssen auch für
uns selber sorgen.
Nein, das ist nicht
egoistisch.
Das ist notwendig,
wenn wir uns selber nicht
verlieren wollen,
wenn wir anderen
Menschen auch weiterhin
zur Verfügung stehen wollen.
Was haben Kinder
von ihrer Mutter, wenn
diese völlig ausgebrannt
und entnervt, an den Grenzen
ihrer Leistungsfähigkeit,
den Familienalltag
zu stemmen versucht,
wie irre durch die Gegend rennt
und ihre Familie nur noch
anschreit?
Was haben Kunden
von ihrem Dienstleister,
wenn dieser in seiner Hektik
und Betriebsamkeit
ihre Bedürfnisse und Anfragen
nicht mehr wahrnimmt?
Was haben „verlorene
Schafe“ von ihren „Hirten“
und Seelsorgern und Seelsorgerinnen,
die sich selber schon lange
wie verloren vorkommen,
nicht mehr zu neuen Weideflächen
aufbrechen wollen, weil
sie um den rechten Weg nicht
mehr wissen und völlig
entkräftet sind?
In einer Woche beginnen
Ferien. Die Erwartungen,
die viele mit dieser Zeit verbinden,
sind in den wenigsten Fällen
realistisch. Viele überfordern
sich selbst in dieser Zeit.
Es geht um die Einübung
einer grundlegenden Haltung
und Einstellung dem Leben
und uns selber gegenüber,
die uns auch in unserem
Alltag zu bestehen helfen
soll.
Wie kann uns
das rechte
Maß hierbei gelingen?
Was können wir tun,
um uns nicht zu verlieren?
Wie halten wir die Spannung
und den Ausgleich?
Wie können wir gut
für uns sorgen?
Das Evangelium gibt
mir den Hinweis, Auszeiten
zu suchen. Zeitinseln zu schaffen,
in denen ich mich an einen
„einsamen Ort“ zurückziehen
kann. Dieser Ort ist in uns
selber. Dorthin gilt es
hin zu gelangen.
Es ist möglich immer wieder
den Alltag zu unterbrechen, um
nur eine Minute bei uns sein zu
können. Je mehr wir solche
Minuten in unseren Alltag integrieren,
desto mehr werden wir eine
innere Stärkung finden.
Eine Minute am Morgen.
Eine Minute am Mittag.
Eine Minute am Abend.
Alles unterbrechen.
Bewusst auf das eigene Atmen
achten und nur auf das Atmen.
Gedanken, die sich einstellen
wollen anhalten und unterbrechen.
Nach einer Minute gut durchatmen
und weitermachen.
So etwas kann nicht von
heute auf morgen funktionieren.
So etwas bedarf der regelmäßigen
Übung. Es ist wie mit
einer Medizin, die ich
regelmäßig und zu bestimmten
Zeiten einzunehmen habe,
um zu gesunden.
Probieren Sie es einfach
einmal aus.
Beim Aufstehen.
In der Küche.
Am Arbeitsplatz.
Im Wald.
In der Warteschlange im
Supermarkt.
Zwischen zwei Terminen.
Im Wartezimmer beim Arzt.
Jetzt nach der Predigt
oder nach dem Empfang
der Kommunion.
Ich bin sicher,
dass Sie genügend Möglichkeiten
finden werden.
Haben Sie einfach einmal
den Mut, das Karussell
anzuhalten – für eine Minute nur.
Ganz bewusst.
„Kloster auf Zeit.“
das ist gewiss eine gute Sache.
Doch für die meisten unter
uns bedeutet dieser Ortswechsel
schon eine gewisse Herausforderung.
Ich möchte Sie darin bestärken,
das rechte Maß mitten
in Ihrem Alltag einzuüben und zu finden.
Ich möchte Sie darin bestärken,
sich auch einmal die Zeit für
sich und nur für sich zu nehmen.
Auch die anderen werden es
Ihnen danken.