Er ist sitzt im Zug.
Seit Stunden schon ist er unterwegs.
Bei jeder Station, an der der Zug anhält,
schaut er ängstlich und nervös
aus dem Fenster auf den Bahnsteig hinaus.
Und er hört nicht auf damit,
springt auf,
schaut hinaus,
setzt sich wieder an seinen Platz zurück.
Immer wieder.
„Was tun Sie da die ganze Zeit?“
will die ihm gegenübersitzende
Frau von ihm wissen.
„Ich sitze im falschen Zug“,
sagt der Mann, „ich müsste
schon längst ausgestiegen sein.“
„Und warum tun sie es nicht?“
fragt die Frau zurück.
„Ich tue es nicht, weil:
Es ist so schön warm hier.
Und auch bequem.“
Eine Geschichte zum Schmunzeln.
Eine Geschichte zum Nachdenken.
Eine Geschichte zum Innehalten.
Viele Zuhörer
fühlen sich durch sie ertappt,
weil sie den Eindruck haben,
dass ihr eigener Zug in die falsche Richtung fährt,
dass ihr eigenes Leben auf einen Punkt hinzielt,
auf den es nicht wirklich hinzielen sollte,
dass es Dinge, Umstände und Angelegenheiten
in ihrem Leben gibt, die sie durch Ordnungen
und Gesetze zwingen, die ihnen nicht gut tun,
die sie von dem abbringen, was Leben
sein soll und bedeuten will,
die bisweilen krankmachend sind.
Und sie fahren weiter.
Immer weiter.
Einfach weiter.
Natürlich bemerken auch sie,
dass ihr Zug sich in die falsche Richtung
bewegt.
Natürlich wissen auch sie,
dass sie aussteigen müssten
und nicht einfach zu weitermachen
dürften wir bisher.
Natürlich werden auch sie dabei
immer nervöser und ängstlicher.
Zugegeben:
Manche stumpfen auch ab.
Aber aussteigen?
Wirklich aussteigen?
Die Fahrtrichtung ändern?
Dazu sind sie nicht bereit:
Aus Bequemlichkeit nicht.
Aus Angst vor der Entscheidung nicht.
Aus Bedenken der Konsequenzen nicht.
Aus Unsicherheit vor den anderen nicht.
Aus Beklommenheit vor dem Loslassen nicht.
Aus Furcht vor dem Leben nicht.
„Steigt endlich aus.
Tut es, bevor es zu spät ist.
Fragt nicht, was die anderen dazu meinen.
Vielmehr folgt eurer innen Stimme,
der Stimme eures Herzens und erkennt,
worauf es wirklich und tatsächlich ankommt,
vor Gott, in eurem Leben, auf dieser Welt."
Zweifelsohne:
Mut ist gefragt.
Vertrauen und Zuversicht
nicht weniger.
Hoffnung darauf,
dass es gut ist,
auszubrechen,
Neues zu wagen,
sich auf andere Gleise zu begeben.
Und - Offenheit den wirklichen
Bedürfnissen des eigenen Lebens
gegenüber und denen der anderen
auch.
Die Frage steht im Raum:
Wie lange wollen wir noch so
weitermachen?
Mit der Schöpfung.
Mit der Umwelt.
Mit der Gesellschaft.
Mit der Wirtschaft.
Mit dem Konsum.
Mit der Gewalt.
Mit dem Krieg.
Mit der Ausbeutung.
Mit der Kirche.
Mit der Gemeinde.
Mit dem eigenen Leben.
Wie lange wollen wir uns
noch vorenthalten:
Wertschätzung?
Anerkennung?
Respekt?
Wohlwollen?
Akzeptanz?
Selbstannahme?
Frieden?
Auskommen?
Wie lange noch wollen
wir uns einer Entwicklung
und einem Prozess entziehen,
der uns unserem Ursprung wieder
näherbringt,
uns selber wieder näher bringt,
dem anderen wieder näher bringt
und in allem unserem Gott?
Wollen wir uns
darauf besinnen?
Wollen wir innehalten,
in diesem „Immer-weiter“-so?
Weil es ja so schön
warm und bequem ist!
So viel steht fest:
Wenn wir den Zweifeln
und Befürchtungen erlauben,
jeden Wagemut zu ersticken,
kann es geschehen, dass wir,
anstatt kreativ zu sein, einfach
in unserer Bequemlichkeit verharren,
ohne einen Fortschritt zu bewirken.
In diesem Fall werden wir nicht
an der Entwicklung unseres Lebens teilhaben,
sondern schlicht Beobachter einer
sterilen Stagnation unseres Lebens
sein.
Einer hat es gewagt.
In diesen Tagen.
Papst Franziskus.
Der macht nicht mehr mit.
Der steigt aus.
Der ändert die Richtung.
Der schlägt einen neuen Kurs
vor:
Für die Kirche in der Welt.
Für die Kirche auf den Kontinenten.
Für die Kirche in den Ländern.
Für die Kirche vor Ort.
Für dich.
Für mich.
Für uns.
Und auch für sich selber.
Evangelii Gaudium
heißt das Kursbuch.
Lesenswert.
Inspirierend.
Antreibend.
Beflügelnd.
Motivierend.
Herausfordernd.
Nur einen Auszug:
Brechen wir auf,
gehen wir hinaus, um allen das Leben
Jesu Christi anzubieten!
Mir ist eine verbeulte Kirche,
die verletzt und beschmutzt ist,
weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist,
lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer
Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit,
sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern,
krank ist.
Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist,
der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in
einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten
verstrickt ist.
Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen
und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist
es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder
und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und
den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus
leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft,
die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn
und Leben.
Ich hoffe, dass mehr als die Furcht, einen Fehler
zu machen, unser Beweggrund die Furcht sei,
uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen
Schutz geben, in die Normen, die uns in unnachsichtige
Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir
uns ruhig fühlen, während draußen eine hungrige
Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos
wiederholt: „Gebt ihr ihnen zu essen!“
Baumstümpfe,
die kein Leben mehr zu haben scheinen –
und plötzlich bricht ein neuer Trieb hervor!
Ein adventliches Hoffnungszeichen,
dass vermeintlich Abgestorbenes auch in
meinem Leben wieder wachsen und lebendig
werden kann.
Um dieses Lebens willen.
Lasst uns austeigen.
Lasst uns die Richtung ändern.
Lasst uns umkehren.
Unserem Gott entgegengehen.