Der Mann ist blind.
Von Geburt an.
Jesus sieht ihn.
Und –
er macht ihn gesund.
Die Jünger fragen:
Wer hat gesündigt?
Er selbst?
Seine Eltern?
Wer ist schuld?
Wer ist schuld,
dass die Beziehung
in die Brüche ging?
Wer ist schuld,
dass das Kind in der Schule
nicht mitkommt?
Wer ist schuld
an meiner ganz persönlichen
Lebenssituation?
Es scheint:
Wie verwenden eine Menge Energie
auf die Frage, wem wir die Schuld
an unseren eigenen Schwierigkeiten
und den Katastrophen unseres Lebens
und in dieser Welt zuweisen
können:
Unseren Eltern,
den Fundamentalisten,
den Juden,
den Schwarzen,
den Katholiken,
den Protestanten,
Gott,
…
Wer ist schuld?
Die Frage nach der Schuld
ist so alt wie die Menschheit.
Adam weist die Schuld von sich
und zeigt auf Eva.
Eva fühlt sich nicht verantwortlich
und gibt der Schlange die Schuld.
Wer ist schuld?
Es verschafft einem eine
eigenartige Befriedigung,
wenn man mit dem Finger auf
jemanden zeigen kann.
Das liefert eine Art Erklärung
und bringt immerhin einige Klarheit.
Es vertreibt das Gefühl der Ohnmacht.
Aber hilft es wirklich weiter?
Bringt es einen selber weiter?
Wer ist schuld?
Jesus selbst kümmert die Frage
nach der Schuld nicht.
Sie ist unerheblich.
Und auch die Streitigkeiten
und die Einwürfe der Pharisäer
und der anderen kümmern
ihn nicht wirklich.
Jesu Blick geht in die Zukunft.
Probleme und Schicksale
können nicht mit Schuldzuweisungen
erklärt werden. Die wenigsten
zumindest. Und wenn,
dann ändern diese nicht wirklich
etwas an der ganzen Lage.
Wer ist schuld?
Für Jesu besteht
die Herausforderung darin,
mitten in der Finsternis
das Licht Gottes zu sehen,
damit zu rechnen,
dass Gott
sich in jeder Situation zeigen,
am Menschen handeln
seine Absicht wahr
werden lassen kann,
dass dieser lebe,
dass dessen Leben licht werde,
licht und hell von Christus her,
dem Licht der Welt,
dem Licht für alle,
die an ihn glauben.
Aus Jesu Sicht kann alles,
selbst die größte Tragödie,
zum Anlass werden,
dass sich Gottes Wirken
offenbart.
Wer ist schuld?
Wie radikal neu wäre das Leben,
wenn wir Menschen bereit wären,
das Suchen nach Schuldigen bleiben zu
lassen und stattdessen
unser Vertrauen in das Wirken Gottes
setzen würden.
Wenn die Augen etwas
so lange betrachten,
bis sie Gott darin wahrnehmen,
werden die Lippen nicht anders können,
als Gott zu danken, heißt es.
Alle Menschen
geraten einmal
in tragische Situationen,
Sie,
ich,
wir alle,
mehr oder weniger,
früher oder später.
Wir werden mit
Tod, Depression,
Verrat, Armut,
Ablehnung, Trennung,
Verlust und vielem
anderen mehr konfrontiert.
Selten haben wir
großen Einfluss darauf.
Doch wir können uns entscheiden,
wozu uns diese Momente
zum Anlass werden:
Entscheiden wir uns dafür,
die Tragödien unseres Lebens
und dieser Welt zum Anlass
von Schuldzuweisungen zu nehmen,
oder, zum Anlass,
Gott am Wirken zu sehen?
Die Bibel ist eine einzige Geschichte
von menschlichen Tragödien,
sagt Henry Nouwen,
aber wenn man diese Tragödien
als Momente und Augenblicke
in Erinnerung bringt, in denen sich
Gottes bedingungslose Liebe zu seinem
Volk Israel zeigt, wird diese Geschichte
zu einer Heilsgeschichte.
Die Blindheit eines Menschen
wird zur Heilsgeschichte.
Das Erdbeben,
dem tausende von Menschen zum Opfer fallen,
wird zur Heilsgeschichte.
Die Trennung vom Partner,
die einen Menschen in tiefe Depression
und Verlassenheit stürzt, wird zur Heilgeschichte.
Ein Krieg, dem unzählige Wehrlose
und Unschuldige zum Opfer
fallen, wird zur Heilgeschichte.
Eine atomare Katastrophe,
die eine ganze Welt in Atem hält,
wird zur Heilsgeschichte.
Mir stockt mein Atmen.
Bei diesen Worten
spüre ich Widerstand.
Ich stelle fest,
wie klein mein Glaube ist,
mein Vertrauen darauf,
dass jedem Tod der Stachel
bereits genommen ist,
dass Gott sich tatsächlich
jede auch noch so ausweglose
Situation zum Anlass nehmen kann,
an uns Menschen seine Größe,
seine Liebe, seine Herrlichkeit
zu zeigen.
Eigentlich müsste
ich es besser wissen,
weil ich es selber schon so
im Angesicht einer Krankheit,
im Angesicht des eigenen Todes
erleben durfte.
Wenn man die Tragödien
als Momente und Augenblicke
in Erinnerung bringt, in denen sich
Gottes bedingungslose Liebe zum
Menschen zeigt, wird diese Geschichte
zu einer Heilsgeschichte.
Blicken wir
auf Christus selber:
Menschlich gesehen
und mit den Augen der Welt
betrachtet, endet sein Leben
in einer Tragödie.
Doch in Wirklichkeit
haben am Ende nicht Tod
und Verlassenheit das letzte Wort,
sondern Gott, der Menschen
wie Dich und mich,
mit ihren ganz eigenen
und persönlichen
Tragödien dazu einlädt,
an ihn zu glauben,
an ihm festzuhalten,
weil er derjenige ist,
der Licht in unsere
Dunkelheiten
bringt.
Jesus ist unterwegs
Ein Mann ruft ihn an
Ich sehe keinen Weg
Blind bin ich
Jesus verschafft ihm
eine neue Sicht
und sagt:
Sie haben gut daran getan
mich anzurufen.