Es sind bisweilen
doch sehr emotionale Stunden,
die wir um den Jahreswechsel
erleben müssen.
Eigentlich fängt es ja schon
in der Vorweihnachtszeit damit
an.
Da erreichen Melodien,
Gesänge und Themen
unser Ohr,
die unser Herz erweichen,
die unter die Haut gehen,
die einem zum Schlucken bringen
und manche Träne in die Augen
treiben.
„Ich könnte mich richtig wegheulen“,
sagte mir eine Frau in diesen Wochen.
Ich glaube, dass sie nicht
der einzige Mensch ist,
der dies tun könnte.
Nirgend wann sonst scheint
der Mensch so durchlässig zu sein,
so dünnhäutig zu sein,
wie in diesen Wochen und Tagen.
Womit hat es zu tun?
Was passiert mit uns?
„Es ist diese Jahreszeit“,
meinen die einen.
„Abends ist es früh dunkel.
Viele Menschen ziehen sich
in ihre Häuser zurück.
Das ist ein Rückzug,
der einen unausweichlich auch
mit sich selber konfrontiert.
Mit dem Zurückliegenden.
Mit dem, was gewesen ist.
Mit dem Gelungenen.
Mit dem Missglückten.
Auch mit der eigenen Schuld.
Auch mit dem eigenen Versagen.“
„Nirgend wann sonst
sind die Erwartungen im Jahr
so hoch, wie in dieser Zeit“, sagen andere.
„Weihnachten.
Silvester.
Neujahr.“
Da soll alles gut sein.“
Ist es aber nicht.
Mitunter werden wir
mit der ganzen Brüchigkeit
und Verletzbarkeit unseres kleinen
Ichs konfrontiert.
Mit schmerzhaften Erfahrungen.
Mit bodenlosen Enttäuschungen.
Mit nicht zu überwindenden Grenzen.
Mit nicht geheilten Wunden.
Mit tiefen Sehnsüchten.
Mit bedrückender Einsamkeit.
Vieles lässt sich mit dem Jahreswechsel
nicht einfach so abschließen.
Es reicht weiter.
Weiter in das Neue Jahr hinein.
Das lässt diese Stunden
für den ein oder anderen unter
uns zu einer Belastung werden.
Es gibt ein Lied, ein Gebet vielmehr,
auf das ich gerne zurückgreifen
will:
Meine engen Grenzen,
meine kurze Sicht
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite,
Herr, erbarme dich.
Meine ganze Ohnmacht,
was mich beugt und lähmt,
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke,
Herr, erbarme dich.
Mein verlorenes Zutrauen,
meine Ängstlichkeit
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme,
Herr, erbarme dich.
Meine tiefe Sehnsucht
nach Geborgenheit
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Heimat,
Herr, erbarme dich.
Gott selber lädt uns ein, ihm
das Gewesene hinzuhalten.
Wir brauchen es nicht
krampfhaft festzuhalten
und daran zu zerbrechen.
Gott erlaubt uns das Loslassen.
Nur in diesem Loslassen
liegt die Kraft zur Wandlung,
liegt die Möglichkeit des Neuanfangs,
liegt die Chance wieder
Grenzen zu weiten,
Stärke zu erfahren,
Wärme zu spüren,
Heimat zu finden.
Wer immer nur zurückschaut,
verpasst die Möglichkeiten
seines Lebens.
Der verschließt sich dem
fortlaufenden Prozess,
der ihn auf seinen Ursprung
zuführen will,
auf die Vollkommenheit,
von der er kommt und zu der
er wieder zurückfinden soll.
Die Frage bleibt zunächst offen:
Was geschieht mit
dem Bruchstückhaften
der vergangenen Zeit?
Kann ich es einfach so loslassen?
Wird es mir gelingen,
ohne Bitternis, ohne Vorwürfe
an die anderen und an mich selber,
das mir Widerfahrene
aus der Hand geben zu können,
damit ich wieder Neues
umarmen kann?
Die Antwort entscheidet
sich an dem, was ich Gott zutrauen
will
und zugleich an der realistischen
Wahrnehmung meiner eigenen
Person und ihrer Möglichkeiten.
In vielem, was das Leben
von uns angeblich fordert,
sind wir einfach überfordert,
als Menschen überfordert.
Auch aufgrund unserer eigenen
Möglichkeiten, Entscheidendes
zum Gelingen des Lebens
in dieser Welt beizutragen,
überfordert.
Jedes unserer Bemühen um:
Ein Auskommen untereinander.
Eine gute Beziehung zum Partner.
Eine Versöhnung mit meinem Gegenüber.
Den Frieden im Kleinen wie im Großen.
Die gerechtere Verteilung der Ressourcen
in dieser Welt
und, und, und …
wäre von Anfang an zum Scheitern
verurteilt, wenn wir uns nur auf uns
selber verlassen wollten.
„Herr, vollende, das Gute,
das ich in deinem Namen begonnen
habe.“
So lauten die Worte eines Gebetes.
Es traut Gott zu, dass das Wenige,
das wir in seinem Namen an Guten
im Leben wirklich vollbringen können,
durch ihn vollendet wird.
Dieser Glaube erlaubt uns
dann auch das Loslassen
des Gewesenen.
Wir legen es in Gottes Hand,
in dem festen Glauben,
dass er es richten wird,
dass er es vollenden wird.
Manchmal ist es ein langer
Prozess, den es braucht,
um in sich diese Haltung
des Vertrauens zu entwickeln.
Ein Prozess,
der viel Geduld fordert.
Geduld mit sich selber.
Geduld mit dem anderen.
Geduld mit Gott.
Eines Tags aber
werden wir wieder freier sein
und auch versöhnlicher
und auch dankbarer auf das Gewesene
zurückblicken können.
Versöhnlicher,
weil wir uns mit unseren eigenen
Grenzen und Leben ausgesöhnt haben.
Dankbarer,
weil es rückblickend sicherlich nicht nur
die Erfahrungen der Brüchigkeit
unseres kleinen Ichs gegeben hat,
sondern mit Sicherheit auch
Schönes,
Frohes,
Lohnenswertes,
Gutes.
Segen.
Letzteres wünsche ich Ihnen
von ganzem Herzen für das
kommende Jahr.