Im alten Indien
verurteilte ein König
einen Mann zum Tode.
Der Mann bat den König,
das Urteil aufzuheben
und fügte hinzu:
„Wenn der König gnädig ist
und mein Leben schont,
werde ich seinem Pferd innerhalb
eines Jahres das Fliegen
beibringen.“
„Es sei“, sagte der König,
„aber wenn das Pferd in dieser Zeit
nicht fliegen lernt, wirst du
dein Leben verlieren.“
Als seine Familie voll Sorge
den Mann später fragte,
wie er sein Versprechen einlösen wolle,
sagt er:
„Im Lauf eines Jahres
kann der König sterben.
Oder das Pferd kann sterben,
oder es kann fliegen lernen.
Wer weiß das schon?“
Pferde stehen
normalerweise mit vier Beinen
auf dem Boden.
Sie galoppieren
über die Koppel
oder springen über Hindernisse.
Aber fliegen, nein,
das können sie nun wirklich nicht.
Der Vorschlag des Mannes
ist gewagt.
Mehr als das.
Der Vorschlag des Mannes
ist geradezu unmöglich.
Aber, wer weiß!
Viele unter uns tragen
Sehnsüchte, Wünsche
und Vorstellungen in ihrem Herzen,
deren Verwirklichung von Außen
betrachtet unmöglich
erscheint.
Es muss nicht gerade
ein fliegendes Pferd sein,
aber vielleicht die Sehnsucht
nach Frieden,
der Wunsch nach Liebe und nach Leben,
die Vorstellung von Gemeinsamkeit,
und einer glücklichen Beziehung.
Und …
Und …
Und …
Was mir an dieser Geschichte
aus Indien gefällt ist,
dass es sich der Mann nicht nehmen lässt,
an das schier Unmögliche zu glauben;
dass er die Ausweglosigkeit seiner Situation
nicht zum Anlass nimmt,
an ihr zu verzweifeln,
zu resignieren und kaputt zu gehen.
Stattdessen einer Vision
in seinem Herzen Glauben schenkt,
die ihm Freiheit und Leben verheißt.
Die Himmelfahrt Jesu will
uns eine solche Vision in unser Herz einpflanzen.
Die Himmelfahrt Jesu spricht davon,
dass es Menschen möglich sein wird,
alles, was sie auf Erden
so sehr gefangen hält und niederdrückt,
hinter sich lassen zu können.
Dass Sehnsüchte, Wünsche und Vorstellungen,
die das wahre und tatsächliche Leben des Menschen betreffen,
Wirklichkeit werden können;
dass der Mensch zum Leben finden kann.
Es gibt tatsächlich diesen Ort,
an dem Träume nicht länger Träume bleiben müssen
und Visionen nicht mehr wie Seifenblasen zerplatzen,
einen Ort, an dem sich des Menschen Verlangen
nach Frieden,
nach Liebe,
nach Leben,
nach Gemeinsamkeit
erfüllen wird.
Es gibt den Himmel auch für uns!
Und manchmal berührt er schon
jetzt sanft die Erde und unser Leben.
Kein anderer Maler,
hat die Möglichkeit
des neuen Himmels und der menschlichen Sehnsucht
nach ihm in seinen Bildern so sehr festgehalten
und umgesetzt, wie Marc Chagall.
Dass das Pferd fliegt,
ist für Marc Chagall überhaupt keine Frage.
Ein Bild von ihm zeigt ein Pferd im Flug.
Es trägt zwei Menschen auf seinem Rücken.
Unter sich lässt das fliegende Pferd
mit dem Liebespaar die Stadt Jerusalem
und ihm zujubelnde Menschen.
Das Pferd fliegt in einen roten Himmel hinein
und trägt Mann und Frau mit sich, dem Himmel entgegen.
Der Himmel spannt sich rot über den gelb leuchtenden Hintergrund,
der an manchen Stellen durch das Rot des Himmels durchbricht.
Dieses Bild Chagalls ist ein Bild,
das von der vitalen Kraft der Liebe spricht.
Sie bringt das Pferd zum Fliegen.
Sie macht die beiden Menschen auf seinem Rücken
zu einem Königspaar,
voller Würde und ausgestattet
mit den unbegrenzten Möglichkeiten
und der Macht von Monarchen.
Die Energie der Liebe
ergreift und durchglüht
den ganzen Lebensraum,
Himmel und Erde,
Engel und Menschen,
Pflanzen und Tiere,
die am Himmel abgebildet sind
und agieren.
Christi Himmelfahrt
lädt den Menschen dazu ein,
den Visionen,
den Träumen,
den Wünschen,
die er in seinem Herzen trägt,
mit Vertrauen zu begegnen.
Vor allem aber doch
an die unzerstörbare Macht der göttlichen Liebe
zu glauben,
die alles an sich zieht,
die alles möglich macht,
die selbst das Pferd
zum Fliegen bringen kann.