Von der
bestehenden Feindschaft
zwischen Juden und Samaritern
könnte ich erzählen.
Ich könnte davon erzählen,
wie wenig eine Frau
in der jüdischen Gesellschaft
anerkannt war,
wenn sie keine Kinder
haben konnte.
Allein die Tatsache,
dass eine Frau mit so vielen Männern
verheiratet gewesen war,
ist für einen Juden
einer Nachfrage wert.
Aber das scheinen
mir nicht die Themen zu sein,
die uns das Evangelium
wirklich vorgibt
und die für unser eigenes Leben
interessant sein könnten.
Lassen sie mich
also davon erzählen,
wie Begegnungen Menschen
verändern können.
Lassen sie mich
davon erzählen,
wie Begegnungen einen Menschen,
der zuvor wie vom Leben abgeschnitten war,
auf einen ganz neuen Weg setzen können.
Lassen sie mich davon erzählen,
wie ermutigend Begegnungen sein können
und bereichernd und wie sehr sie einem Menschen
wieder dazu verhelfen können,
sein Leben in Griff zu bekommen
und an den Wert
des eigenen Lebens zu glauben.
Die Geschichte
von der Frau am Jakobsbrunnen
scheint mir dafür
der beste Beweis zu sein.
In ihr begegnet uns ein Mensch,
dessen Leben sich sehr eintönig darstellt.
Sie versorgt ihren Haushalt.
Sie kümmert sich um das,
was täglich anfällt und zu tun ist.
Der Begegnung mit anderen
Menschen geht sie aus dem Weg.
Das zeigt sich daran,
dass sie in der Mittagszeit
zum Brunnen geht,
zu einer Zeit also,
wo andere Menschen die Hitze meiden.
Auch darüber hinaus
scheint diese Frau vom Leben
und dem,
was es ihr zu geben hat,
wenig erfüllt zu sein.
Begegnungen
können Menschen verändern.
Jesus bewirkt diese Veränderung.
Zunächst schenkt er
der Frau seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Er spricht sie an.
Er bittet sie um einen Schluck Wasser.
Die Frau verspürt vielleicht
seit Langem wieder einmal:
Da ist jemand,
der gibt er mir zu verstehen,
dass er mich meint.
Da ist jemand, dem kann ich etwas tun.
Da ist jemand, der meidet mich
nicht aufgrund
meines Lebenswandels.
Allen Bedenken zum Trotz
lässt sie sich auf den Mann
am Brunnen ein.
Ein Gespräch entwickelt sich.
Es reicht tiefer.
Es geht um das, was den Menschen
in seiner Sehnsucht nach Annahme und Liebe,
in seinem Durst nach Leben,
wirklich erfüllen kann.
Diesen Durst trägt die Frau
in ihrem Herzen.
Jesus weiß darum.
Jesus spürt das.
Er weiß auch um das Schicksal der Frau
und wie sehr ihr das Leben,
vor allem doch die anderen Menschen
mitgespielt haben.
Doch damit ist es jetzt vorbei!
Wonach sie sich immer
wieder gesehnt hat,
das wird ihr jetzt geschenkt:
Annahme und Verstehen,
Liebe und Aufmerksamkeit,
Wertschätzung und Wohlwollen,
Respekt und Würde.
All das eben,
was der Mensch braucht,
um leben zu können.
So wird Jesus selber
zum lebendigen Wasser,
das der ausgetrockneten Seele
der Frau Nahrung gibt.
Nur zu verständlich
erscheint die Bitte der Frau:
Herr, gib mir dieses Wasser,
damit ich keinen Durst mehr habe
und nicht mehr hierher kommen muss,
um Wasser zu schöpfen. (Joh 4,15)
Begegnungen
können Menschen verändern.
Die in Pakistan lebende
Lepraärztin Ruth Pfau hat einmal gesagt:
Das Aufregendste
im Leben finde ich überdies,
jemanden zur Selbstverwirklichung,
zum Blühen
oder zur Entfaltung zu bringen.
Nun gibt es aber
auch diese Erfahrung:
Dass Begegnungen einen Menschen
am Leben hindern können.
Menschen können in Begegnungen
mit anderen Menschen
so sehr in ihrer persönlichen
Lebensentfaltung eingeengt werden,
dass ihnen die Luft zum Atmen fehlt.
Unliebsame Begegnungen
können einen Menschen verletzen.
Begegnungen,
denen es an Respekt und Anerkennung
und Wertschätzung fehlt,
schaden der Seele eines Menschen.
Wilhelm Willms schreibt einmal:
Wusstest du schon,
dass die Nähe eines Menschen
gesund machen
krank machen
tot oder lebendig machen kann.
Wusstest du schon,
dass die Nähe eines Menschen gut machen
böse machen
traurig und froh machen kann.
wusstest du schon,
dass das Wegbleiben eines Menschen
sterben lassen kann
dass das Kommen eines Menschen
wieder leben lässt.
wusstest du schon,
dass die Stimme eines Menschen
einen anderen Menschen wieder aufhorchen lässt
der für alles taub war.
wusstest du schon,
dass das Wort oder das Tun eines Menschen
wieder sehend machen kann
einen, der für alles blind war,
der nichts mehr sah,
der keinen sinn mehr sah in dieser Welt
und in seinem Leben.
Ich bin davon überzeugt,
dass vor allem in der Begegnung
mit einem anderen Menschen
der Mensch zu seinem wahren Kern finden kann,
zum Leben eben.
Der jüdische Philosoph
und Theologe Martin Buber sagt es einmal so:
Der Mensch wird am Du zum Ich.
Das Du begegnet mir. Ich werde am Du.
Ich werdend spreche ich Du.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung.
Nachweislich sind aber gerade
heute immer mehr Menschen
zu einer echten und wirklichen
Begegnungen nicht mehr fähig.
Sie sind zu sehr mit sich selber beschäftigt,
was ein fiktives Gespräch
zwischen zwei jung vermählten
Menschen zeigt:
Es war eine wunderbare Hochzeitsfeier.
Ein strahlendes Brautpaar,
fröhliche Gäste,
erlesene Speisen und Getränke,
wertvolle Geschenke.
Eine unvergessliche Hochzeitsreise schloss sich an.
Auf der Rückfahrt bemerkte die junge Frau ihrem Mann gegenüber:
„Ich danke dir für alles, für deine Liebe, dafür, dass ich
zu dir gehören und mit dir verbunden sein kann.
Aber nun möchte ich doch wieder lieber in meine alte Wohnung,
in meinen alten Beruf, zu meinen alten Freunden.
Ich möchte schon deine Frau sein,
aber doch lieber für mich leben!
Ich komme einmal in der Woche zu dir.
Wenn ich dich brauche, rufe ich dich an.
Aber sonst möchte ich allein klarkommen.
Wenn ich krank bin oder Geld brauche,
in Schwierigkeiten stecke oder nicht mehr weiter weiß,
melde ich mich sofort bei dir.
ich bin ja so froh, dass ich einen guten Mann habe.
Aber ich möchte meinen Lebensalltag
doch gern allein bestimmen.
Wenn ich später einmal sterbe,
möchte ich natürlich ganz in dein Haus kommen.
Aber ich hoffe, dass dies noch sehr lange dauert.
„So geht es nicht!“
lautet bezeichnender Weise
die Überschrift zu diesem Gespräch.
Was Jesus der Frau am Jakobsbrunnen
schenkt und was diese Frau wieder zum Leben zurückfinden lässt:
Annahme und Verstehen,
Liebe und Aufmerksamkeit,
Wohlwollen und Respekt,
müssen wir Menschen wieder lernen,
einander zu geben.
Unserer Gesellschaft,
in der viele Menschen nur sich
selbst verwirklichen wollen
und dabei stets nur ihre eigenen Interessen
im Auge haben,
kommt ansonsten ihre
soziale Lebensqualität abhanden.
Ja, wir werden immer mehr
an dieser Lebensqualität verlieren,
je weniger es uns gelingt,
den sich ausbreitenden Egoismus
des Menschen zu stoppen
und uns auf das zu besinnen,
was das wirkliche Leben ausmacht
und ihm seine Qualität zurückgibt:
die offene und wohlwollende,
die bedingungslose und wertschätzende
Begegnung unter Menschen.
Anders geht es nicht!
Es bleibt zunächst
unsere Aufgabe,
das Wasser zu reichen,
das der ausgetrockneten Seele
unseres Nächsten
Nahrung gibt.
Ich bin mir gewiss,
dass wir selber dabei reichlich schöpfen dürfen,
denn jede wirkliche Begegnung
ist ein gegenseitiger Austausch
an Wohlwollen und Achtung,
an Liebe und Verstehen,
an Wertschätzung dem anderen gegenüber
und ein sich gegenseitiges Wünschen,
dass der andere Mensch Leben habe.
Davon wollte ich Ihnen gerne erzählen
und auch davon, dass Gott selber will,
dass der Mensch lebe und dass er dieses Leben finde
in der Begegnung mit Jesus Christus,
der auch für jeden von uns lebendiges Wasser
sein will.