Unter den vier Evangelisten
ist er der große Denker,
ist er der große Theologe,
ist der der große Philosoph.
Johannes.
Er spricht von dem Wort.
Nicht irgendeinem Wort.
Vielmehr Gottes Wort.
Er sagt:
Das Wort war vor aller Zeit.
Durch das Wort ist alles geworden.
In dem Wort ist das Leben.
Johannes spricht vom Wort
und meint, den Christus,
Gottes Sohn.
Licht sei er.
Leben sei er.
Grund all dessen,
was ist und besteht
und ewig fortdauern will.
Johannes spricht von der Finsternis.
Vom Dunkel im Leben des Menschen.
Vom Dunkel in dieser Welt.
Und er fragt:
Wo ist es finster in deinem Leben?
Wo ist es finster in deiner Welt?
Wie gehst du mit dem Dunkeln um?
Wie geht deine Welt mit dem Dunkeln um?
Finster ist es dort,
wo Waffen nicht schweigen
und Kriege nicht aufhören,
vielmehr zerstören:
Kulturen,
Eigentum,
Menschenleben,
Kinder,
Jugendliche,
Erwachsene,
Greise,
Schwache,
Kranke.
Vor mehr als 20 Jahren
durchreiste ich Syrien.
Ich durfte die reiche Kultur
dieses Landes kennenlernen
und auch die Gastfreudschaft
der Menschen dort.
Im Fernsehen sehe
ich heute nur noch Trümmer,
Menschenmassen,
die aufeinander losrennen
einander bekämpfen,
einander töten.
Finster ist es dort,
wo jede Art poltischer
oder religiöser Fanatismus
nicht aufhört,
vielmehr vernichtet:
Kulturen,
Eigentum,
Menschenleben,
Kinder,
Jugendliche,
Erwachsene,
Greise,
Schwache,
Kranke.
„Haben Sie schon gehört,
was heute Nacht passiert
ist“, fragte mich betroffen
eine Christin aus dem Irak.
„Christen haben sich in den Kirchen
des Landes versammelt und die Heilige
Nacht gefeiert.
Fundamentalisten haben
vor der Kirche eine Autobombe
angezündet. Und wieder sind
Menschen dem Terror
zum Opfer gefallen.“
Wir schauen einander an.
Wir finden keine Worte.
Unsere Blicke sagen mehr
als Worte jemals sagen können.
Finster ist es dort,
wo Eigensucht herrscht,
wo Gier den Menschen von innen auffrisst,
wo Neid einen vom anderen trennt,
wo Gewinn und Profit
und Erfolg über allem stehen,
auch über sozialen und ethischen
Maßstäben und Werten,
wo die Schöpfung mit Füßen getreten wird
und der Mensch zum bloßen Objekt
verkommt.
Johannes spricht vom Wort.
Johannes spricht vom Licht.
Johannes spricht von der Finsternis.
Und er sagt:
Hier hinein will er geboren werden.
Hier hinein kommt Gott zur Welt.
Hier hinein will er sein Licht leuchten lassen.
Johannes spricht vom Wort.
Johannes spricht vom Licht.
Johannes spricht von der Finsternis.
Johannes spricht von Gottes Eigentum.
Israel sagt:
Überall sei Gott
und nirgends,
Höhen, Tiefen
seien sein.
Also auch die Finsternis.
Also auch das Dunkel.
Und wir singen:
Morgenstern der finsteren Nacht,
der die Welt voll Freude macht,
Jesu mein komm herein,
leucht in meines Herzens Schrein.
Johannes spricht vom Wort.
Johannes spricht vom Licht.
Johannes spricht von der Finsternis.
Johannes spricht von Gottes Eigentum.
Und er sagt:
Das wahre Licht, das jeden
Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Er war in der Welt und die Welt
ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn
nicht. Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn
nicht auf.
Ihn aufnehmen:
Seine Sicht vom Menschen.
Seine Sicht von Vergebung.
Seine Sicht von Barmherzigkeit.
Seine Sicht von Herzlichkeit.
Seine Sicht von Verantwortlichkeit.
Seine Sicht von Mitmenschlichkeit.
Seine Sicht von Liebe.
Seine Sicht von Vertrauen.
Seine Sicht von Glauben.
Seine Sicht von Hoffnung.
Seine Sicht von Leben.
Seine Sicht vom Sterben.
Seine Sicht vom Tod.
Seine Sicht von Auferstehung.
Seine Sicht von Gott.
Wollen wir uns wirklich vorstellen,
dass hierin der Schlüssel
- zu einer gerechteren Welt liegt;
- zu einem respektvolleren
und wertschätzenderen Umgang miteinander;
- zu einer achtungsvolleren und friedvolleren
Begegnung untereinander?
So hat es Gott gedacht.
So hat er es gemeint:
Alles Streben nach Weisheit,
alle Sehnsucht nach Erleuchtung,
jedes Bedürfnis nach Frieden
und Liebe findet sein Ziel in Christus.
Durch ihn,
den Greifbaren,
den Menschgewordenen
können wir ganz nah herankommen
an Gottes Gnade,
an Gottes Wahrheit.
Eine Geschichte will ich erzählen.
Marie Luise Kaschnitz hat sie niedergeschrieben:
Der kleine Junge hockte auf dem Fußboden
und kramte in einer alten Schachtel.
Er förderte allerhand
wertlose Dinge zutage
– darunter auch einen silberglänzenden Stern.
„Was ist das?“, fragte er:
„Ein Weihnachtsstern“, sagte die Mutter.
„Etwas von früher, von einem alten Fest.“
„Was war das für ein Fest?“, fragte der Junge.
„Ein langweiliges“, sagte die Mutter.
Die ganze Familie stand in der Wohnstube
um einen Tannenbaum und sang Lieder.
Und an der Spitze der Tanne befestigte man
den Stern. Er sollte an den Stern erinnern,
dem die Hirten nachgingen, bis sie
den kleinen Jesus in der Krippe fanden.
„Der kleine Jesus?“, fragte der Junge – „was
soll das nun wieder sein?“
„Das erzähle ich dir ein andermal“, sagte die Mutter,
und damit öffnete sie den Deckel des Müllschluckers
und gab ihrem Sohn den Stern in die Hand:
„Du darfst ihn hinunterwerfen und aufpassen,
wie lange du ihn noch siehst.“
Der Junge warf den Stern in die Röhre
und lachte, als er verschwand.
Aber als die Mutter wiederkam,
stand er wie vorher über dem
Müllschlucker gebeugt:
„Ich sehe ihn immer noch“, flüsterte er.
Er glitzert. Er ist immer noch da.“
Johannes spricht vom Wort.
Johannes spricht von der Finsternis.
Johannes spricht von Gottes Eigentum.
Johannes spricht vom Licht.
Und er sagt:
Allen, die ihn aufnehmen
gibt er Macht Kinder
Gottes zu werden.
Gott, wenn dein Sohn
in der Welt ist und wir ihn nicht
erkennen, dann segne uns
mit dem Heiligen Geist,
der uns zu ihm führt,
der uns ihm folgen lässt,
der uns als deine Kinder
offenbart.