Möchten wir uns vorstellen:
Wie er die Synagoge betritt.
Wie er das Buch in seine Hände nimmt.
Wie er daraus vorliest.
Wie er sich allen vorstellt,
als jener, in dem sich die Verheißung
des Propheten erfüllt sehen darf?
Möchten wir uns vorstellen:
Wie sie alle dasitzen,
die Schriftgelehrten,
die Gesetzeslehrer,
die Pharisäer,
vollkommen überrumpelt
von seinen Worten,
sprachlos,
fassungslos
über seine Auslegung,
nicht wissend, was sich da gerade
vor ihnen abspielt?
Wer´s nicht begreifen kann,
für den sei´s nochmals gesagt:
Das Wort des Propheten hat sich erfüllt.
Jesus ist der Gesalbte.
Jesus ist der Gesandte.
Jesus bringt den Armen die frohe Botschaft.
Jesus verkündet den Gefangenen die Entlassung.
Jesus lässt Blinde sehen.
Jesus setzt Zerschlagene in Freiheit.
Mit ihm ist das Heil angebrochen.
Uns selber
wird das Evangelium
in die Hände gelegt, in dem immer
wieder jener Eine,
ein Jude, der vor zweitausend Jahren
gelebt hat, die Hauptrolle spielt.
Er redet.
Er diskutiert.
Er heilt.
Er steht da,
unverwechselbar
und doch sehr fremd.
Wir hören,
wie er irgendwelche Leute einlädt:
„Kommt!
Wir wollen miteinander essen.“
Und er sitzt mit ihnen zu Tisch.
Er steht an einem Ufer und
ruft über das Wasser hin:
„Komm, geh mit! Ich weiß eine
Aufgabe für dich.“
Er steht vor den Ärmsten seines Landes
und ruft ihnen zu:
„Kommt her, ihr Geplagten.
Ich will euch eure Last abnehmen.“
Heilung geht von ihm aus.
Befreiung.
Ermutigung.
Anweisung.
Und wir sind eingeladen,
den da der handelt, uns vorzustellen
und uns selbst wahrzunehmen
als die, an denen es geschieht.
Jetzt und in dieser Stunde.
Heute.
Immer wieder hören wir nur eine
kurze Episode aus dem Evangelium.
Ein Dorf.
Das Ufer eines Sees.
Eine Straße.
Eine Frau ruft Jesus an.
Ein Blinder sitzt am Weg.
Ein Alter stellt eine Frage.
Und Jesus wendet sich der Frau zu.
Er heilt.
Er antwortet.
Dann schließt die Szene.
Jesus geht weiter.
Das Volk wundert sich.
Und wir-
wir sollen die Szene in uns hineinnehmen.
Wir sollen Jesu Gestalt unterscheiden lernen
von anderen Figuren der Weltgeschichte.
Wir sollen erkennen,
dass er etwas Einmaliges
war und auch für uns heute bedeuten könnte.
Dass er auch
heilend und aufrichtend,
ermutigend und stärkend,
rettend und erlösend
in unser eigenes Leben eingreifen könnte.
Was war Jesus?
Wer war er?
Zweifelsohne hat man Jesus immer
wieder je nach Bedarf in das verwandelt,
was die Menschen einer Zeit suchten
und kannten.
Man sprach ihm Titel und Würden zu.
Die Leute wollten ihn seinerseits zum
König machen.
Etwas vollkommen anderes,
als was er sein wollte und als was er war.
Zwischen all dem, was man
uns selber über ihn glauben machen wollte
und immer noch will, hat die Suche
nach dem wirklichen Jesus nie aufgehört.
Was aber ist wirklich an diesem Mann?
Dass er Mensch wird.
Denn das wird ja von ihm gesagt:
Er sei ein Mensch geworden,
ein Mensch gewesen und als ein Mensch
in den Niederungen unserer Menschenwelt
gestorben.
Gott selber wurde
ahnbar in ihm.
Spürbar.
Ansprechbar.
Als das Wort Gottes wird er bezeichnet.
Und es gibt noch andere Bilder,
die uns die Wahrheit Jesu näherbringen
und die Wirklichkeit, die nicht
dargestellt werden kann,
ahnbar werden lassen.
Das von dem Kind in der Krippe,
vom Kind auf den Armen seiner Mutter.
Das von dem Mann, der im Wasser
des Jordans steht,
die Taube des Geistes über sich sieht.
Das von jenem schlichten Wanderprediger,
der irgendwo zwischen den Menschen steht,
den Kranken und den Gesunden,
den Willigen und den Unbereiten,
und sagt,
und tut,
und zeigt,
was sein Auftrag ist.
Das von dem Kämpfer
für Gerechtigkeit und Frieden,
kompromisslos,
sich den Missverständnissen aussetzend,
Menschen in seinen Bann ziehend.
Das von dem bejubelten König vor der Stadt,
der einzieht auf einem Esel.
Das von dem Mann, der beim Mahl das Brot
bricht und in dem Brot sich selber schenkt.
Das von dem, der das Kreuz trägt,
unter seiner Last zusammenbricht,
ans Kreuz gehängt wird und stirbt.
Das von dem,
der zwischen den Gräbern
am Ostermorgen steht:
Dem Überwinder.
Dem Grenzgänger.
Dem Vorausgänger.
Dem Sieger.
Madeleine Delbrel schreibt einmal:
Das Evangelium will das Buch unseres Lebens werden.
Wenn wir es in Händen halten, sollten wir bedenken,
dass das Wort darin wohnt, das in uns Fleisch werden
will, uns ergreifen möchte, damit wir –
sein Herz auf das unsere gepfropft,
sein Geist, dem unseren eingesenkt –
an einem neuen Ort
zu einer neuen Zeit,
in einer neuen Umgebung
sein Leben aufs Neue beginnen.
Die Frage ist,
ob wir dazu bereit sind,
das Heute des gehörten Evangeliums,
in unserer Zeit tatsächlich
gegenwärtig werden zu lassen.
Jene Wirklichkeit,
die besagt,
dass sich in ihm die Verheißungen
des Propheten erfüllt haben.
Nicht nur für jene von gestern.
Sondern auch für jene
Menschen von heute
und morgen und übermorgen.
Menschen wie Du und Ich.