Ist er´s
oder ist er´s nicht.
Nein.
Er ist nicht der, für den viele
ihn halten wollen:
Kein Messias.
Kein Erlöser.
Kein Heiland.
Für all jene, die es immer
noch nicht fassen können,
stellt er klar:
„Ich bin schwach.
Er ist der Stärkere.
Ich taufe Euch mit Wasser.
Er mit Heiligem Geist und mit Feuer.
Er ist überragend.
Ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe
aufzuschnüren.“
Und plötzlich steht er da.
Direkt vor ihm.
Mitten unter den anderen.
Und mit einem Mal
formulieren sich all die Antworten
auf die Fragen, die das Leben an den Menschen
stellt. Vor allem jene auf die Frage:
Wer denn der Mensch sei?
Schon der Beter des Psalms
setzt sich dieser Frage aus:
„Was ist der Mensch,
dass du an ihn denkst,
des Menschen Kind,
dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8)
In dem Augenblick,
als Jesus von Johannes getauft
wird, öffnet sich der Himmel.
Etwas Sichtbares kommt
auf Jesus herab,
etwas, das es ansonsten im Leben eines
Menschen nur zu spüren gibt:
Gottes Geist.
In Gestalt einer Taube.
Und eine Stimme sagt:
„Du bist mein geliebter Sohn,
an dir habe ich Gefallen gefunden.“
Henry Nouwen schreibt:
„Ich bin fest davon überzeugt,
dass das Schlüsselereignis für das
öffentliche Wirken Jesu die Taufe
im Jordan war, bei der Jesus
die Bestätigung hörte:
„Du bist mein geliebter Sohn,
an dem ich Gefallen gefunden habe.“
Das ist die Kernerfahrung Jesu.
Er wird auf eine ganz tiefe Weise
daran erinnert, wer er ist.“
Im Blick auf das Leben
des Menschen fährt er fort:
„Der von Gott geliebte Mensch zu
werden, heißt, die Wahrheit,
dass wir geliebt sind, in allem,
was wir denken,
sagen oder tun,
Fleisch werden zu lassen.
Dazu bedarf es eines langen
und schmerzlichen Prozesses
der Aneignung oder besser:
der Inkarnation.“
Mit anderen Worten:
Es geht darum, dass wir
die Wahrheit, dass auch wir
von Gott geliebte und angenommene
und bestätigte Menschen sind,
tief in unserem Herzen
wurzeln zu lassen
und aus diesem Bewusstsein,
das bei unserer eigenen Taufe
grundgelegt wurde,
zu leben und
zu versuchen, einander zu begegnen.
In einem Brief einer Jugendlichen
teilt diese mit:
„Ich habe noch nie gespürt,
dass mich jemand liebt.
Ich habe den Eindruck,
meine Geburt sei ein Versehen
gewesen.
Meine Eltern haben immer
voller Stolz von meinen Geschwistern
gesprochen, aber nie von mir.
Es war, als gäbe es mich gar nicht.
In der Schule hatte ich keine Freundinnen.
All diese Erfahrungen haben mich
zutiefst verletzt. Die Wunden
sind nie ganz verheilt.
Ich bin der Überzeugung,
kein Mann kann mich je lieben
oder begehren.“
Und dann schreibt sie weiter:
„Eines Tages machte ich einen Spaziergang
im Wald. Ich setzte mich auf einen Baum.
Und plötzlich erfüllte mich die Gewissheit,
dass Gott mich liebt.
Plötzlich ist etwas in mir erwacht,
mir ist aufgegangen, dass ich in Gottes
Augen kostbar und wichtig bin.
Das war eine starke Erfahrung,
die mein Leben von Grund auf
veränderte.“
Von Gotteserfahrung sprechen
in diesem Zusammenhang die Mystiker.
Diese Erkenntnis ist wie das Einbrechen
einer neuen Wirklichkeit in das Leben
eines Menschen. Einer Wahrheit,
die alles zu verändern und auf den
Kopf zu stellen vermag.
Zugegeben:
Die Erfahrung von Gott geliebt zu sein,
verändert unser Leben nicht vollständig.
Wir bleiben immer die Frucht, unseres
bisherigen Lebens, die Gesamtsumme
alles dessen, was wir vom Augenblick
unserer Geburt an gelebt haben.
Aber etwas ändert sich doch,
wenn uns aufgeht, dass Gott uns genauso
liebt, wie wir sind, und nicht
wie wir gerne wären oder wie
uns unsere Eltern oder die Gesellschaft
gerne hätten.
Gott liebt uns heute mit unseren
Gaben und Eigenschaften
und auch Mängeln und Anfälligkeiten.
Gott kennt uns.
Gott kennt unsere Fähigkeiten
und unsere Behinderungen.
Gott weiß, dass wir eine Mischung
aus Licht und Schatten sind.
Andere mögen darüber enttäuscht sein,
weil sie ein Idealbild von uns haben,
aber so ist Gott nicht, der mich heute
genauso kennt, wie ich bin.
Gott sieht mich immer in meiner augenblicklichen
Wirklichkeit.
Es ist wahr,
dass wir geliebte Menschen
sind.
Dass wir Kinder Gottes sind.
Unsere Welt scheint sehr weit
von dieser Wahrheit entfernt zu sein,
aber in unseren Gemeinden,
aber in unseren Familien,
aber in unseren Freundschaften,
aber in unseren Beziehungen
könnten wir in der Tat dieser Wahrheit
entsprechend so leben,
dass dort die Rivalität aufhört,
der Konkurrenzkampf,
die vielen und oftmals
so zermürbenden Kleinkriege.
Wir könnten versuchen,
Ort zu schaffen,
an denen die Schwerter und
die Bögen abgeschafft sind,
Orte, an denen sich jeder für das
Wohl des Ganzen einsetzt.
Es ist berührend,
Gemeinden,
Familien,
Freundschaften,
Beziehungen
zu erleben, die wie ein Leib
geworden sind,
wo jedes Glied so,
wie es ist, geliebt
und geachtet wird.
Wir sind uns dies einander
schuldig,
weil wir von Gott geliebte
Menschen sind.
Weil, wenn uns Gott
so sehr geliebt hat,
auch wir einander lieben müssen.
Nehmen wir uns Zeit,
auf Gott zu horchen,
auf diese Stimme vom Himmel,
der sich auch über uns geöffnet hat.
Vielleicht können wir uns einfach
in die Nähe eines Baumes setzen,
wie das Mädchen,
das von ihrem Spaziergang im Wald
erzählt hat und selber hören,
wie Gott zu uns sagt:
„Du bist geliebt.
Du bist in meinen Augen kostbar.
Ich liebe dich.“